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Ein Mann Anfang 30 aus der Region sass zum wiederholten Male vor dem Bezirksgericht Aarau.
Bei manchen Gerichtsverhandlungen ahnt man nach der ersten Minute, dass das nicht gut kommt. Zum Beispiel, wenn der Beschuldigte Patrick (alle Namen geändert) – obwohl durchaus gerichtserprobt, schliesslich kam er in Fussfesseln und uniformierter Begleitung – dem Gerichtspräsidenten gleich von Beginn weg ständig und penetrant ins Wort fällt. Oder wenn er sich schon vor der Verhandlung im gut gefüllten Warteraum ein Wortgefecht mit seiner überaus fürsorglichen Mutter liefert und die vier anderen Anwesenden zu unfreiwilligen Mithörenden macht.
Patrick (Name geändert), Anfang 30, sitzt derzeit für ein paar Monate wegen einer anderen Straftat im Gefängnis. Am Montag erschien er vor dem Bezirksgericht ohne Anwalt – obwohl man ihm einen gewünscht hätte. Per Strafbefehl war er von der Staatsanwaltschaft wegen Beschimpfung und mehrfachen versuchten Betrugs sowie geringfügigen vollendeten Betrugs zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 80 Franken (4800 Franken) unbedingt sowie einer Busse von 200 Franken verurteilt worden. Patrick hatte diesen Strafbefehl angefochten. Und obwohl ihn Gerichtspräsident Reto Leiser zu Beginn der Verhandlung darauf hinwies, dass Patrick seine Einsprache wieder zurückziehen könnte und so punkto Verfahrenskosten günstiger wegkomme, bestand der Beschuldigte darauf, eine Aussage machen zu können.
Reden wollte Patrick aber nur über die Rolle des Beschimpften. Nennen wir diesen Simon. Dieser hatte Patrick sein Auto verkaufen wollen, Patrick trat aber vom Vertrag zurück. Daraufhin forderte Simon von Patrick eine Aufwandsentschädigung. Und als Patrick nicht bezahlte, ging Simon zu dessen Mutter – die ihm, warum auch immer, die 10'000 Franken überwies.
Einzig und alleine über diese Zahlung, die Patrick als unrechtmässig empfand, wollte er vor Gericht reden. Sie war aber nicht Verhandlungsgegenstand – sondern Patricks SMS an Simon, in welchem er diesen als «scheiss Opfer» bezeichnete. Ein Anwalt hätte Patrick, der einen Finanzbeistand hat und vor Gericht in kognitiver Hinsicht auffällig wirkte, das schon vorher sagen können. Der Gerichtspräsident ging denn auch nicht darauf ein. Die SMS bestritt Patrick nicht, es sei «eine Dummheit» gewesen.
Zu den Betrugsvorwürfen äusserte sich der IV-Bezüger jedoch nicht. Er soll auf den Namen und mit der Adresse seiner Nachbarin – die ihm nicht persönlich bekannt ist – auf Zalando Bestellungen gemacht haben. Hauptsächlich High Heels. Drei der Päckli erhielt die Frau und schickte sie an Zalando zurück, ein viertes – ein Paar Pumps im Wert von 179 Franken – bleibt verschwunden. Es wird angenommen, dass Patrick es hat abfangen können. Weshalb er relativ häufig High Heels bestellte – auch unter falschen Vornamen, aber mit seiner Adresse – mochte er vor Gericht nicht beantworten.
Gerichtspräsident Reto Leiser hatte jedoch keine Zweifel an der Täterschaft. Aufgrund der ermittelten IP-Adresse waren die Zalando-Bestellungen entweder von ihm oder seiner Mutter aufgegeben worden, und eine wurde ab dem WLAN von Patricks früherem Arbeitgeber abgeschickt. Patricks kecker Zwischenruf, wonach man sowas auch fälschen könnte, quittierte der Richter mit dem Hinweis, dass er nicht an russische Hacker glaube, die ein Interesse daran haben könnten, ab Patricks IP Päckli an dessen Nachbarin zu schicken.
Aus finanzieller Hinsicht hatte sich der Ausflug ans Gericht nur marginal gelohnt. Der Richter senkte wegen Patricks finanzieller Lage die Tagessatzhöhe auf 30 Franken (total 1800), aber hinzu kommen noch Gerichtsgebühren und die Verpflichtung, die verschwundenen High Heels zahlen zu müssen. Noch im Saal kündigte Patrick an, das Urteil ans Obergericht weiterziehen zu wollen.