Aarau
Die Spitex ist besorgt – private Konkurrenz bedrängt sie zunehmend

Kostenorientierte private Spitexorganisationen bedrängen den öffentlichen Aarauer Verein immer mehr.

Urs Helbling
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Die Nachfrage nach Spitex-Leistungen ist so gross wie nie.

Die Nachfrage nach Spitex-Leistungen ist so gross wie nie.

Dominik Wunderli

Als Dienstleistung ist die Spitex gefragt wie nie – eine direkte Folge der Spitalstrategie «ambulant vor stationär». Als Organisation steht die Spitex vor grossen Herausforderungen. Seit jeher kämpft sie darum, genügend qualifiziertes Personal zu rekrutieren. Aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung wird sich diese Situation schrittweise noch erheblich verschärfen, weshalb die Spitex-Organisationen mit einem öffentlichen Leistungsauftrag auch selber grosse Anstrengungen in der Ausbildung unternehmen.

Neu geraten die traditionellen Spitex-Institutionen unter politischen Druck – mitverursacht durch die höheren Kosten, die die Gemeinden als Folge der gestiegenen Nachfrage übernehmen müssen. Ein Mittel zur Kostensenkung könnten Spitex-Fusionen sein, wie sie mancherorts diskutiert werden. Oder liegt das Heil darin, die Leistungen nicht mehr von den traditionellen Vereinen erbringen zu lassen, sondern ganz zu privatisieren? Wie das Spannungsfeld, in dem sich Spitex-Organisationen bewegen, aussieht, zeigt exemplarisch die Spitex Aarau.

Spitex hat einen der grössten Vereine in Aarau

Die Ausgangslage: Die Spitex Aarau ist mit etwa 1000 Mitgliedern einer der grössten Vereine der Kantonshauptstadt, seit drei Jahren präsidiert vom ehemaligen Stadtrat Michael Ganz. Die Spitex Aarau beschäftigt unter der Leitung von Geschäftsführer Daniel Schwarzenbach rund 50 Personen. Diese betreuen jährlich gegen 600 Kunden und erwirtschaften ein Umsatz von rund 3,3 Millionen Franken (Stand 2018). Die Beiträge der Stadt Aarau lagen im vorletzten Jahr bei rund 1,4 Millionen Franken.

Die Aargauer Gemeinden haben vom Kanton den gesetzlichen Auftrag, Pflege und Hilfe zu Hause zu gewährleisten. Das tun sie in der Regel mit Leistungsvereinbarungen und mit der Übernahme von Restkosten, also der Kosten, die nicht von den Krankenkassen und den Leistungsempfängern (sie zahlen eine limitierte Patientenbeteiligung) gedeckt werden.

Die Festlegung der Krankenkassentarife erfolgt durch den Bundesrat eher unter politischer denn realwirtschaftlicher Optik – so wurden auf 2020 die Spitex-Tarife um 3,6 Prozent gesenkt. Dies zwar zu Gunsten des Prämienzahlers jedoch gleichzeitig zu Lasten des Steuerzahlers auf Gemeindeebene. Eine Leistungsvereinbarung ist gekoppelt mit einem Versorgungsauftrag.

«Die Stadt sagt uns, was wir machen sollen. Wir müssen grundsätzlich alle Fälle übernehmen – und das jederzeit», erklärt Michael Ganz. Die Spitex Aarau hat seit zehn Jahren eine Leistungsvereinbarung mit der Stadt. Der Verein legt Wert darauf, dass er eine privatrechtliche Organisation ist, aber nach Non-Profit-Grundsätzen geführt wird.

Spezialisierte Pflege steht im Vordergrund

Dies im Gegensatz zu anderen Anbietern im Spitex-Markt – den sogenannten «Privaten». Diese haben keine Leistungsvereinbarung mit den Gemeinden und arbeiten grundsätzlich gewinnorientiert. «Sie haben ein ganz anderes Geschäftsmodell», sagt Daniel Schwarzenbach. Die Privaten seien stärker auf Betreuungsleistungen ausgerichtet und man fokussiere sich auf längere Einsätze, die eben «rentieren» müssen.

Bei der Spitex Aarau stehe die spezialisierte Pflege im Vordergrund und man habe aufgrund der gesetzlichen Versorgungsgarantie höhere Fallzahlen, aber im Durchschnitt auch deutlich kürzere Einsatzdauern, was kostenintensiv sei. «Und wir haben einen grösseren Anteil an Personal mit höheren Fachausbildungen und Spezialistinnen», so Schwarzenbach.

«Wir haben bei Spitex Aarau das Anliegen, dass man nicht nur auf Kosten, sondern auch auf Qualität achtet», betont Präsident Ganz. Und: «Die Bevölkerung will eine gute Versorgungsqualität.» Rund 85 Prozent der Kosten der Spitex Aarau sind Personalkosten. Gespart werden kann eigentlich nur bei der Dienstleistungsqualität für die Patienten oder auf dem Buckel des Personals.

«Mittelfristig ist unser Einsatzgebiet zu klein»

Das Qualitätsbestreben schliesst aber Optimierungen nicht aus, wie Ganz betont. Vor allem im Background. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Grösse. Die Spitex Aarau sei, so Ganz, kantonsweit betrachtet «knapp gross». «Mittelfristig ist unser Einzugsgebiet zu klein», erklärt Ganz. Darum begrüsst er die Spitex-Initiative des Regionalverbandes «aarau regio» (zwölf Gemeinden mit sechs Spitex-Organisationen), die in einer ersten Phase bis im August den Ist-Zustand analysiert (mit Hilfe des externen Fachberaters, H-focus aus Baar ZG). In einem zweiten Schritt sollen dann Handlungsoptionen ausgearbeitet werden, die dann zu Fusionen führen können.

Noch ist alles offen. Fest steht aber: Neben dem Kostendruck spielt in der Diskussion eine Rolle, dass die Spitex-Organisationen zunehmend mit schwierigeren Fällen konfrontiert sind. «Je kleiner die Spitex-Einheit ist, desto schwieriger ist es, komplexere Fälle zu behandeln», so Ganz. Zudem ist das Gesundheitswesen und damit auch die ambulante Pflege mitten in einem dynamischen Veränderungsprozess.

Digitalisierung, zunehmende Individualisierung der Kundenwünsche, steigende Vernetzung mit Spitälern, Reha-Kliniken und Ärzten, zunehmender Wettbewerb um Fachkräfte sind nur einige weitere Aspekte, denen die Spitex Aarau mit ausreichend qualifiziertem Personal auf allen Stufen begegnen müsse, sagt er.

Spitex ist auch in Aarau ein Politikum

Parallel zu den «aarau regio»-Abklärungen hat sich die Politik des Themas angenommen. So haben in Aarau zwei FDP-Einwohnerräte einen parlamentarischen Vorstoss eingereicht, mit dem sie vom Stadtrat wissen wollen, ob neben den sechs öffentlichen Spitex-Organisationen auch «regionale private Spitex-Organisationen» bei der Analyse mitberücksichtigt werden. Und es wird die zentrale Frage der Folgen einer Ausschreibung verbunden mit der Vergabe an rein Private aufgeworfen.

Die Spitex Aarau verfolgt die Entwicklung der Diskussion mit einiger Besorgnis – auch aus Angst, dass politische Entscheide ohne ausreichende Berücksichtigung der komplexen Materie nur fokussiert auf die Kostenseite, gefällt werden könnten.