Aktionskunst
Schwergewichte unterwegs: Zehn Gebotstafeln auf der Suche nach einem Kunstasyl

Mit einer Neuinterpretation der 10 Gebote sorgten die Riklin-Brüder 2020 für Aufsehen. Nun reist das Kunstwerk durch den Aargau.

Anna Raymann
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Die «10 Gebote Vol.2» wandern von Zürich nach Bern.

Die «10 Gebote Vol.2» wandern von Zürich nach Bern.

Bild: zvg

Sicher sollte man sich seiner Sache sein, wenn man etwas in Stein meisselt. Erst recht, wenn man nicht weniger als die 10 Gebote für den Titel beansprucht: «10 Gebote Vol.2» heisst das massive Werk, das die St.Galler Aktionskünstler Frank und Patrik Riklin medienwirksam im Frühjahr 2020 vor dem Kloster in St.Gallen in zehn Steintafeln gehauen und später in einer (selbst)bewusst illegalen Aktion im Zürcher Schanzengraben ausgesetzt haben.

Tele M1 über die Aktion.

Zehn kluge Sätze sollen Wegweiser sein für eine neue Zeit, eine Zeit, die spätestens mit einer weltüberrollenden Pandemie zu einer neuen Rechnung ansetzt. Sie raten von erstens «Believe in the urgency of your thoughts» (Glaube an die Dringlichkeit deiner Gedanken) bis zehntens «Keep processes going even if they seem to end» (Halte den Prozess am Laufen, selbst wenn er zu enden scheint). Statt Bibeltreue liest man eingängige Motivationssprüche, passend daher scheint doch die Finanzierung durch das Zürcher Blockchain-Start-up Fyooz.

Gebote für einen gesellschaftlichen Wandel

Die «Volume 2» der 10 Gebote will keine alttestamentarische Neufassung sein. Aber was will sie denn? Erklären wollen die Künstler ihre Thesen jedenfalls nicht. Die Idee dazu kam ihnen aber im März 2020, im Monat des ersten Lockdowns. «Wenn man die 10 Gebote Vol.2 befolgt, kann man gar nicht anders, als sich auf einen persönlichen Wandel einzulassen. Das passt in eine Zeit, in der es um gesellschaftliche Umbrüche geht», sagt Frank Riklin.

Wandel wird durch clever geplante Provokation erst recht angeregt. Die «Gebote» triezen. Nach der Versenkung in Zürich äusserten sich Pastorinnen und Kunstkritiker: Die Künstler seien nicht bibelfest, die Performance nur Marketinggag für das Start-up. Alles nur geplant, so ahnt man, denn die Riklins sprachen in Zürich stets von Phase zwei ihrer Performance.

Phase drei: die Suche nach einem Kunstasyl

Fremd sind Gebote, oder eben Manifeste, der Kunst nicht. Das Künstlerduo Fischli/Weiss erfand 1991 eine Anleitung zum besseren Arbeiten: In zehn Schritten bis «smile» (lächeln). Die Liste ist an ein Bürogebäude in Zürich Oerlikon notiert.

Die zehn Gebotstafeln wurden von der Stadt Zürich hingegen bald aus dem Wasser geklagt. Damit begann Phase drei: die Suche nach einem Kunstasyl, das nun das Museum für Kommunikation in Bern gewährt. Der Weg dorthin führt das tonnenschwere Werk auf Sackkarren geladen und von Helferhänden geschoben über Aargauer Kantonsstrassen. Zwischenhalt gibt es etwa am 1. Juli in Aarau, bevor sie in fünf weiteren Etappen von Olten nach Bern gekarrt werden.

«Durch die körperliche Auseinandersetzung und die physische Reibung setzt man sich anders mit dem Werk auseinander», so Frank Riklin. Hier schwitzt man gemeinsam für die Kunst, statt zwar andächtig, aber einsam, im Museum über ein Werk zu sinnieren. Es ist Kunst zum Mitmachen und Mitdenken, der provokante Titel holt nur mehr Köpfe in die Debatte.

29.6. Spreitenbach nach Niederrohrdorf, 30.6. Niederrohrdorf nach Möriken-Wildegg, 1.7. Möriken-Wildegg nach Aarau, 2.7. Aarau nach Olten