Untersiggenthal
1000 bis 1500 kastrierte Katzen pro Jahr – «Wir stossen an unsere Grenzen»

«Es gibt Fälle, die verfolgen mich in meinen Träume», sagt Präsidentin Astrid Becker. Wieso der Aargauische Tierschutzverein, der nächstes Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert, über die Festtage keine Tiere vermittelt.

Anja Zingg (Text und Fotos)
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Astrid Becker, Präsidentin des Aargauischen Tierschutzvereines.

Astrid Becker, Präsidentin des Aargauischen Tierschutzvereines.

Das Tierheim hat fünf Zimmer mit Auslauf, zehn Katzengehege und zwei Quarantäneräume. Im Sommer waren alle voll.

Das Tierheim hat fünf Zimmer mit Auslauf, zehn Katzengehege und zwei Quarantäneräume. Im Sommer waren alle voll.

Das Tierheim des Aargauischen Tierschutzvereins (ATs) wirkt ruhig, hinter dem Haus hört man ein Hundebellen. Auch wenn man eintritt, bleibt es still, nur das Bellen hält an. Hier scheint man nichts von der hektischen Weihnachtszeit mitzubekommen. Seit einigen Jahren werden über die Festtage keine Tiere vermittelt. Dies, um Haustier-Weihnachtsgeschenken vorzubeugen.

Der ATs feiert nächstes Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Dieses Jahr war er so gefragt, wie noch kaum. Die Ruhe, die zurzeit herrscht, war durch das Jahr hindurch selten. «Wir sind an unsere Grenzen gestossen», sagt Astrid Becker, Präsidentin des ATs. Ein Satz, der im Laufe des Gesprächs noch einige Male fallen wird. Seit zwölf Jahren präsidiert Becker den Verein. Der ATs setzt sich für den Tierschutz ein, bringt im eigenen Tierheim Tiere unter und vermittelt diese an gute Plätze.

Im Tierheim in Untersiggenthal werden Katzen und Hunde abgegeben. Aber auch Kaninchen, Schildkröten, Hamster und Vögel landen hier, weil die Besitzer sie nicht mehr halten können oder wollen.

Bis 1500 Katzen werden kastriert

Beckers Herzensangelegenheit ist gleichzeitig auch das Sorgenkind des Tierheims: die Katzengruppe. «Der ATs lässt pro Jahr 1000 bis 1500 Katzen kastrieren — und trotzdem kratzen wir nur an der Oberfläche des Problems.» Letztes Jahr wurde die Katzengruppe zu 172 Fälle gerufen.

Pro Fall müssen manchmal 20, 30 oder mehr Katzen eingefangen, untersucht und kastriert werden. Becker rechnet damit, dass die Fallzahlen für 2018 im Vergleich zum Vorjahr etwa 15 Prozent höher sein werden. Die Zunahme habe die Finanzen stark belastet, so Becker. Das Tierheim erhält kein Geld vom Kanton und finanziert sich durch Spenden.

«Im Sommer hatten wir täglich mehrere Anrufe, dass ausgesetzte oder kranke Katzen gesichtet wurden», sagt Becker. Wieso dass es dieses Jahr so viele «Katzenfälle» gab, kann Becker nicht restlos erklären. Bei den verwilderten Katzen können die guten Wetterbedingungen die Überlebenschancen begünstigt haben. «In anderen Jahren überlebten von einem Fünferwurf vielleicht die zwei Stärksten. Dieses Jahr war es sehr warm, sodass die Überlebenschancen vielleicht grösser waren.»

Aber nicht nur wilde Hauskatzen oder halbwilde Bauernhofkatzen sind ein Problem. Gerade bei jungen Bauern habe ein Umdenken stattgefunden und viele liessen ihre Katzen kastrieren. «Früher waren es oft Bauern, bei denen wir Katzen holten, mittlerweile sind es auch immer mehr Privatpersonen.»

«Leute wollen nur das Beste»

«Einige Katzenhalter kastrieren ihre Katzen nicht und denken, dass sie die Katzenbabys schon vermitteln können. Leider ist das nicht immer der Fall und die Katzen landen dann bei uns — oder werden irgendwo ausgesetzt.»

Seit Hunde gechipt werden müssen, habe man viel weniger Fälle von ausgesetzten Hunden. «Darum bin ich für eine Chip-Pflicht auch bei Katzen — und für eine Kastrationspflicht.» Becker ist überzeugt, dass der Teufelskreis nur so durchbrochen werden kann. Katzen können sich pro Jahr zwei- bis dreimal fortpflanzen.

Eine Kätzin kann pro Wurf mehrere Katzenwelpen auf die Welt bringen. Wenn man dies anhand der Weibchen, die wiederum Nachwuchs bekommen, hochrechnet, sind es nach zwei Jahren 66 Katzen, nach drei Jahren schon fast 400. Viele Katzenbesitzer sind sich dessen nicht bewusst.

Gerade verwilderte, herrenlose Tiere werden sehr selten zu Schmusetigern. Nachdem verwilderte Tiere eingefangen, medizinisch versorgt und kastriert wurden, stellt der ATs zusammen mit Freiwilligen die Fütterung am angestammten Platz der wilden Tiere sicher.

«In 98 Prozent unserer Fälle wollen die Leute nur das Beste für ihr Tier. Sie wissen manchmal einfach nicht, wie.» Dann gebe es noch die anderen zwei Prozent. «Es gibt Fälle, die verfolgen mich in meinen Träumen», sagt Becker. Umso wichtiger ist es, dass vermittelte Tiere ein gutes zu Hause erhalten: «Wir schauen uns interessierte Halter genau an und haben eine enge Nachbetreuung. Die Leute können uns jederzeit anrufen, wenn sie eine Frage haben.» Auch der Vermittlungsstopp, der bis ins neue Jahr dauert, helfe dabei, dass Tiere nicht unbesonnen zugelegt werden.