Baden
465 Millionen für die Limmattalbahn: Stadttram soll Wachstum auffangen

Warum der Kanton so viel ausgeben will, und was man in der Region darüber denkt.

Mathias Küng
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Bis Spreitenbach wird die Limmattalbahn erstellt. Der Kanton will jetzt bis Baden weiterbauen.

Bis Spreitenbach wird die Limmattalbahn erstellt. Der Kanton will jetzt bis Baden weiterbauen.

Fotomontage ZVG

Am 30. August 2019 ist das erste kleine Teilstück der Limmattalbahn Altstetten–Schlieren eingeweiht worden. Dieses Stadttram wird bis zum Bahnhof Killwangen-Spreitenbach weitergebaut. Für das Teilstück auf Aargauer Boden hat der aar­gauische Grosse Rat 179,5 Millionen Franken bewilligt, wobei sich der Bund daran beteiligt. Die Einweihung ist für 2022 geplant. Doch wenn es nach der Aargauer Regierung geht, ist dann noch lange nicht Schluss. Inzwischen liegt eine Botschaft der Regierung für eine Weiterführung dieser Stadtbahn über Neuenhof und Wettingen bis Baden vor. Die Kosten betragen nach heutigem Berechnungsstand 465 Millionen Franken, wobei sich der Bund mit rund 35 Prozent daran beteiligen dürfte.

Stadtbahn soll künftigen Mehrverkehr auffangen

Dass die Fortsetzung dieser Stadtbahn jetzt tatsächlich kommen soll, ist vorab auch dem in Zukunft erwarteten starken Bevölkerungswachstum im Limmattal geschuldet. Als der kantonale Baudirektor Stephan ­Attiger die Anhörungsvorlage für die jetzige Botschaft vorstellte, sagte er es so: «Die riesige Bautätigkeit im zürcherischen Limmattal rollt wie eine Welle Richtung Aargau.» So rechnet man im Departement Attiger im Einzugsbereich des Trassees von Killwangen nach Baden bis 2040 mit über 50'000 Einwohnern und Arbeitsplätzen, die zu einer Nachfrage von knapp 19'000 Personen pro Tag im stärksten Querschnitt führen, also zu einem Zuwachs von über 50 Prozent gegenüber heute. Dis Bahn soll so gebaut werden, dass man sie gegebenenfalls ab Baden weiter in den Raum Siggenthal fortführen könnte.

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Realisierung erst für die Zeit von 2032 bis 2036 geplant

Die vorgeschlagene Weiterführung bis Baden stiess in der Anhörung auf breite Zustimmung. Die Regierung beantragt dem Grossen Rat deshalb, die Weiterführung als Zwischenergebnis im kantonalen Richtplan einzutragen. Der Grosse Rat befasst sich im Herbst damit. Bis die Bahn gebaut wird – sofern sie alle Hürden nimmt – fliesst aber noch viel Wasser die Limmat hinunter. Ende 2022 kommt es wieder zu einer öffentlichen Anhörung. Erst 2029 dürfte der Investitionskredit ins Kantonsparlament kommen. Tatsächlich gebaut werden soll die Bahn dann zwischen 2032 und 2036. So steht sie bereit, wenn die Kapazitäten der Buslinien bis 2040 voraussichtlich voll ausgeschöpft sind.

Auf den rund neun Kilometern zwischen Killwangen-Spreitenbach und Baden sind 18 Haltestellen geplant. Weil der geplante Entwicklungsschwerpunkt Tägerhard-Ost in Wettingen abseits der Bahnstrecken liegt, soll die Stadtbahn dort durchführen. Der Aargau drängt auf eine S-Bahn-Haltestelle Wettingen Tägerhard, um die Systeme zu verknüpfen. Ob diese Haltestelle kommt, entscheidet «Bern».

Warum ein Stadttram statt einfach mehr Busse?

Man könnte mehr Busse fahren lassen, ist ein zentrales Argument gegen die Limmattalbahn. Die Regierung geht in ihrer Botschaft darauf ein. Der Betrieb der ÖV-Achse mit einem schienengebundenen Verkehrsmit- tel werde wegen der grösseren Transportgefässe und damit der höheren Leistungsfähigkeit gegenüber dem Bus bevorzugt. Warum? Mit einem Tram können bis zu 3000 Personen pro Stunde befördert werden, mit heutigen Gelenkbussen auf der bestehenden Infrastruktur maximal 1300, heisst es dazu. Diese Kapazitätsgrenze erreichen die Busachsen im Perimeter laut Botschaft ab 2040.

Stau am Baregg spürt man in Neuenhof sofort

Am meisten Veränderungen bringt der geplante Weiterbau für Neuenhof und Wettingen. Die Gemeindeverantwortlichen stehen hinter dieser Stadtbahn, allerdings gibt es in beiden Orten auch Gegnerschaft. In Neuenhof wurden gar Hunderte Unterschriften gesammelt. Die Gegner befürchten, dass die Bahn viel Platz braucht, das Dorf zerschneidet und man doch für einen Bruchteil des Geldes einfach den Busverkehr ausbauen könnte (AZ vom 3. Juli). Gemeindeammann Martin Uebelhart wägt seine Worte genau ab, wenn er darauf antwortet. Viele Menschen hätten das Gefühl, dass eine Bevölkerungszunahme von 30 Prozent im öffent- lichen Verkehr nur 30 Prozent mehr Passagiere bedeute, was das bestehende System doch auffangen könne. Uebelhart: «Die Realität ist aber so, dass man heute schon am Morgen als Pendler nach Zürich in der S-Bahn spätestens ab Spreitenbach Schulter an Schulter steht. Auch die Busse sind in der Rushhour voll.»

Das System des öffentlichen Verkehrs werde dereinst gar bis doppelt so viele Passagiere aufnehmen müssen, weil das Strassennetz heute schon am Limit ist und im dicht besiedelten Limmattal nur noch punktuell verbessert, aber nicht noch mehr ausgebaut werden könne. Uebelhart: «Wenn es im Baregg oder vor Baden staut, spüren wir das in Neuenhof sofort, dann geht bald auch hier nichts mehr.» Das Konzept des Kantons, den Mehrverkehr wegen des künftigen Bevölkerungszuwachses vorab mit dem öffentlichen Verkehr aufzufangen, sei vernünftig. Das entlaste die Strasse und helfe auch dem Individualverkehr. Die Limmattalbahn habe zudem deutlich höhere Kapazitäten als der Bus, versorge die Gemeinden engmaschiger als eine S-Bahn: «Zudem bekommen wir dann endlich schnellere direkte Verbindungen etwa zum Spital Limmattal oder ins Schwimmbad und Sportzentrum Tägerhard. Das ist ein grosser Zusatznutzen.»

Was die Dorftrennungs- befürchtungen betrifft, sei zu bedenken, dass ein Tram alle 10 bis 15 Minuten wohl weniger trenne als alle 3 bis 4 Minuten ein Bus, und dass dieses Stadttram wie in Zürich ein Trassee auf oder neben der Strasse habe: «Das ist nicht zu vergleichen mit einem S-Bahntrassee, das tatsächlich trennt.» Ganz wichtig für Neuenhof sei aber, «dass unser Autobahnanschluss unbedingt besser werden muss, denn bereits heute ist er oft schon stark überlastet». Wenn das gelingt, und dafür will Uebelhart kämpfen, glaubt er, «dass dies die Befürchtungen vieler Skeptiker dämpfen oder gar beseitigen könnte».

Auch in Wettingen gibt es Kritik, etwa an der Linienführung, und am Landverbrauch, und die Notwendigkeit wird von Kritikern hinterfragt (AZ vom 3. Juli). Für ihn sei diese Bahn nicht einfach ein erweitertes Nahverkehrsmittel, sagt Wettingens Gemeindeammann Roland Kuster dazu, «sondern es verbindet Wohn- und Arbeitsplätze im Limmattal». Wenn ein ÖV- Pendler aus Wettingen in Zürich arbeitet, nehme er natürlich den Schnellzug ab Baden. Einen Arbeitsort in Dietikon oder Schlieren erreiche er mit diesem neuen Stadttram dereinst aber ohne Umsteigen und viel schneller. Dies sei mit Blick auf das erwartete, weitere starke Bevölkerungs-, Arbeitsplatz- und Verkehrswachstum bis ins Jahr 2040 die richtige Lösung.

Schon seit langem wolle Wettingen zudem im Tägerhard, das jährlich von 400'000 bis 500'000 Personen frequentiert wird, einen Halt. Die RVBW sind präsent. Ziel sei, hier einen Knotenpunkt zusammen mit Limmattalbahn und S-Bahn einzurichten, und so beide Talseiten miteinander zu verbinden, sagt Kuster. Zudem ist hier ein Entwicklungsschwerpunkt geplant, der eine entsprechende Infrastruktur braucht. Man höre aber die Kritik von Landwirten sehr wohl, sagt er zu den 100 Unterschriften, die der Wettinger Landwirt Tobias Lüscher gesammelt hat: «So wird die Linienführung sorgfältig geplant, um kein wertvolles Kulturland zu vernichten. Fürs Trassee beziehen wir auch eine Kiesgrube ein. Dafür werden nun Trassenstudien gemacht.» In Wettingen soll die Bahn über die Land- und nicht über die Zentralstrasse geführt werden, «weil wir keine zweite Hauptachse schaffen wollen, und dieses Tram dort fahren soll, wo das Gewerbe, die Einkaufsmöglichkeiten und die Menschen sind».

Hochbrücke soll für den Mischverkehr offen bleiben

Nicht mit den Vorschlägen des Kantons einverstanden ist man in Wettingen, wenn es um die Zukunft der Hochbrücke geht. Der Kanton will diese dereinst für den ÖV reservieren und für den Individualverkehr eine zusätzliche Limmatbrücke bauen. Kuster: «Es geht nicht an, die direkteste Verbindung zwischen den Kernstädten Wettingen und Baden zu kappen, und dafür 500 Me- ter weiter, nahe am ohnehin stark belasteten Autobahnknoten Neuenhof, eine Brücke zu bauen. Den Umweg darf man Bevölkerung und Gewerbe nicht zumuten. Er wäre nicht nachhaltig.»

Der Debatte über die Limmattalbahn dürfe man nicht die heutige Situation zugrunde legen, betont Kuster: «Wir müssen für 2040 vorausschauend planen. Das Zürcher Glattal hat gezeigt, wie der Bus in einer boomenden Region ans Limit gekommen ist, und dass eine Trambahn wirksam Abhilfe schuf. Womit jene Region auch massiv aufgewertet wurde.»