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Ein 40-jähriger Mann musste sich wegen Veruntreuung vor dem Bezirksgericht Baden verantworten. Er sitzt auf einem Schuldenberg, nun wird er nochmals zur Kasse gebeten.
Die Begrüssung vor dem Gerichtssaal endet frostig. «Hallo Ivan» – «Hoi», antwortet dieser knapp. Schweigen bis zum Prozessbeginn. Es geht um fast eine halbe Million Franken von Ivans Immobilienfirma, die der angeklagte Martin (Namen geändert) veruntreut haben soll.
Martin trägt Brille, grauen Pulli, darunter ein Hemd, die Haare kurz geschoren. Er wohnt in der Region Baden, feierte dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Als Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr das Wort an ihn richtet, spricht er gefasst. Erst mit einer leichten Nervosität in der Stimme, der Mund trocken.
Martin ist gelernter Elektriker, arbeitete auch immer wieder für Ivans Immobilienfirma. Sie hätten sich Büroräumlichkeiten geteilt, privat habe Ivan ihn mehrmals zu sich eingeladen, erzählt Martin. 2016 gründete er ein Bauunternehmen. Ivan habe ihn gefragt, ob er Interesse hätte, grössere Projekte zu übernehmen. «Von ihm habe ich dieses ganze Bauzeugs gelernt», sagt Martin. Und:
Ich habe ihm gesagt, dass ich keine Erfahrung habe und seine Unterstützung brauche.
Im Auftrag von Ivans Firma sollte Martin ein Mehrfamilienhaus im Bezirk Lenzburg sanieren und einen Anbau erstellen, zum Preis von pauschal rund zwei Millionen Franken. Rund 900'000 Franken überwies die Immobilienfirma im folgenden halben Jahr. Die ersten vier von sechs Zahlungen gingen an das allgemeine Firmenkonto, über das Martin allein verfügte. Erst später eröffnete er ein eigenes Konto für das Bauprojekt.
Martin befand sich in finanzieller Schieflage. Über 450'000 Franken verwendete er für andere Zwecke: Er zahlte offene Rechnungen, Löhne von Angestellten und erstattete Darlehen von Privaten zurück. Nur rund 100'000 Franken flossen nachweislich in das Bauprojekt. «Der Beschuldigte wusste, dass er die Firma nicht so hätte bereichern dürfen. Er hielt dieses Vorgehen jedoch mit seiner unübersichtlichen Organisation der Geschäftsabläufe, schlechter Budgetplanung sowie ungenügender Dokumentation zumindest für möglich und nahm es in Kauf», schreibt die Staatsanwältin in ihrer Anklage.
Ivans Firma kündigte den Vertrag mit Martin und übergab das Bauprojekt in andere Hände. Ivan macht eine Zivilforderung von über 450'000 Franken geltend. Vom Prozess lässt er sich zu Beginn dispensieren und verlässt den Raum, ohne Martin eines Blickes zu würdigen.
Wie es nach dem Strafverfahren für ihn weitergehe, will Gerichtspräsidentin Fehr von Martin wissen.
Ich hoffe, ich kann endlich wieder einmal richtig atmen
antwortet er. Seine Stimme zittert. Er lockert die zusammengefalteten Hände auf dem Tisch. Spricht über den Druck, den er seit der Vertragsunterzeichnung verspürt. Den Druck, den Ivan noch verstärkt habe. «Ich verstehe nicht, warum sich alles so gedreht hat zwischen uns. Das frisst mich heute noch auf.» Auch die finanziellen Sorgen stehen Martin bis zum Hals. Über seine Firma wurde der Konkurs verhängt. Auf dem 40-Jährigen lastet ein Schuldenberg: 30'000 Franken wegen Betreibungen, 25'000 Franken aus privaten Darlehen und 10'000 Franken aus offenen Rechnungen, rechnet er vor. Sein Haus habe er verloren, weil die Bank die Hypothek kündigte.
Die Staatsanwältin beantragt eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen à 40 Franken bedingt, bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie eine Busse von 2000 Franken. Der Verteidiger fordert derweil einen Freispruch. Die geforderte Strafe treibe seinen Mandanten an den Rand des Ruins, argumentiert er. Das Gericht verurteilt Martin am Montag wegen Veruntreuung zu 180 Tagessätzen à 130 Franken bedingt, bei einer Probezeit von zwei Jahren, plus Busse von 1000 Franken. Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr begründet die Strafe damit, dass bei Martin keine grosse kriminelle Energie erkennbar sei.
Es war aber sehr unbedarft, so einen riesigen Vertrag abzuschliessen.
(Quelle: Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr)
Für Martin ist der juristische Kampf noch nicht ausgestanden: Er muss nun mit einer Zivilklage von Ivan rechnen.