Sandra Varonier verwöhnt an Weihnachten nicht nur ihre Grossfamilie in ihrer Stube, sondern auch Gäste, die sie noch nie gesehen hat. Sie kennt sie erst durch eine Internet-Plattform. Es sind Menschen, die sonst alleine feiern würden.
Die Ruhe vor dem Sturm: Noch ist das Haus in Turgi fast leer. Nur Sandra Varonier sitzt am langen, hellen Holztisch im Wohnzimmer.
Trüffelsuchhund Giacomo hat es sich daneben auf dem Boden gemütlich gemacht. Am Weihnachtsabend wird die Stube voll sein, aber nicht nur mit bekannten Gesichtern: Denn neben den sieben Kindern, dem Partner und den Grosseltern tischt die 46-Jährige für sieben weitere Gäste auf.
Gäste, die sie vorher noch nie gesehen hat – und nur durch die Internet-Plattform «No empty chairs at christmas» kennt. Eine Plattform, die Menschen zusammenbringt: solche, die an Weihnachten einen Ort zum Feiern suchen, und solche, die an ihrem Weihnachtstisch noch einen Platz frei haben.
«Ich wollte schon seit längerem so etwas machen», sagt Sandra Varonier. «Denn mich stört, dass die Geschenkeschlacht zu stark im Vordergrund ist. Wir wollen unsere Tür für Menschen aufmachen, die sonst an Weihnachten alleine feiern müssen. Das Beisammensein soll wieder wichtiger werden.»
Zudem seien sie eine sehr gastfreundliche Familie. «Mit Unbekannten zu feiern, ist mal etwas anderes und auch eine Bereicherung für beide Seiten.» Aber die geeignete Plattform fehlte, um potenzielle Gäste kennen zu lernen.
Als dann das Möbelhaus Ikea vor zwei Jahren die Initiative «No empty chairs at christmas» lancierte, war für sie klar: «Da mache ich mit.» Auch die Familie war schnell von der Idee überzeugt.
Immerhin acht Personen, die Ja sagen mussten – die sieben Kinder zwischen fünf und 21 Jahren sowie ihr Partner Daniel Baier. «Zum Glück sind alle so unkompliziert.» Dass sie für rund 17 Gäste kocht und nicht nur für die neunköpfige Familie, macht ihr nichts aus. «Ich bin es mir ja gewohnt. Ich koche immer für viele Leute.»
Beim ersten Anlauf vor zwei Jahren klappte es noch nicht: Keiner wollte kommen. Die Plattform war neu und noch zu wenig bekannt. 2014 meldeten sich dann aber gleich fünf Gäste an: ein Theologe, der mit dem Velo aus Zürich anreiste, ein Hauswart, ein Pfadileiter, eine italienische Bauchtänzerin und ein Student aus Pakistan. Eine bunt zusammengewürfelte Truppe.
«Ich dachte, das wird schon passen», sagt Sandra Varonier und schmunzelt. «Das Schlimmste wäre, dass sich alle anschweigen würden. Aber bei so vielen Leuten ist das fast unmöglich.»
Trotz Sprachbarriere – die Italienerin und der Pakistani konnten kein Wort Deutsch, die anderen aber alle ein bisschen Englisch – war die Stimmung locker und der Abend ein wunderbares Erlebnis: «Es war super», schwärmt Sandra Varonier.
Der Pakistani liess sich sogar von seiner Mutter via Skype erklären, wie man ein richtiges, pakistanisches Dessert macht. «Aber beim Backen ging etwas schief», sagt die Gastgeberin.
Er kam trotzdem mit einem Dessert: einer riesigen Schoggitorte aus der Konditorei. Nach dem Raclette und dem Dessert feierten alle in der Küche weiter – bauchtanzend bis morgens um zwei Uhr. Der pakistanische Student schlief sogar bei den Varoniers und ass am nächsten Morgen mit der ganzen Familie Frühstück.
Für dieses Jahr haben sich gar sieben Gäste angemeldet: ein Pärchen, ein junger Zürcher, eine Bankangestellte, ein polnisches Ehepaar aus Zug und der Pfadileiter vom letzten Jahr.
In diesem Jahr kocht Varonier Thai-Curry, eine vegetarische Version und eine mit Fleisch. Acht fleissige Händepaare helfen schnipseln und aufräumen. Am 23. Dezember beginnt Sandra Varonier mit den Vorbereitungen. «So ist es zumindest geplant», sagt sie und schmunzelt.