Nackt-Selfies
Alle warten auf Müllers Beichte – oder auf seinen Befreiungsschlag

Geri Müller soll Nackt-Selfies aus dem Badener Stadthaus geschickt haben. Nachdem die Empfängerin drohte an die Öffentlichkeit zu gehen, wollte er angeblich ihr Handy beschlagnahmen lassen. Die Parteien wollen Müller jedoch nicht vorverurteilen.

Thomas Röthlin
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In Baden und weit darüber hinaus rieb man sich am Sonntagmorgen die Augen. Ein Lokalpolitiker sagt, er habe sich ob der Zeitungslektüre am Kaffee verschluckt. Stadtammann Geri Müller soll einer jungen Frau aus seinem Büro Nackt-Selfies geschickt haben – und als er es bereute, sie massiv unter Druck gesetzt haben, Sex-Bilder und -Chat zu löschen. Diese Bombe liess die «Schweiz am Sonntag» platzen. Ein Mitglied der Grünen Aargau war offenbar dermassen fassungslos, dass es Müller über den offiziellen Twitter-Account der Partei politisch gleich abschrieb: «Üble Sache, Geri. Deine Integrität ruhe in Frieden.» Grünen-Präsident Jonas Fricker reagierte genervt und liess über denselben Kanal verlauten: «Das ist nicht die offizielle Meinung der @gruene_aargau. Sondern eine Einzeläusserung in der Hitze des Gefächts (sic!).»

Die Partei traf sich am Nachmittag mit dem Team Baden, das mit Geri Müller erstmals einen Stadtammann stellt, zur Krisensitzung. Inzwischen war die Story in den sozialen Medien unter #gerigate bereits zum nationalen Aufreger geworden. Neben viel Empörung musste der Politiker auch einige Häme einstecken.

Schaden ist angerichtet

Dabei ist die Sache alles andere als lustig. Über seinen Anwalt liess Müller gestern verlauten, er habe die Polizei eingeschaltet, nachdem die Frau «Suiziddrohungen» geäussert hätte. Also nicht, um der heiklen Handybilder habhaft zu werden, wie die «Schweiz am Sonntag» aufgrund eines Polizeieinsatzes letzten Mittwochabend in Baden herleitete, bei dem die Frau festgenommen wurde und anschliessend einen Zusammenbruch erlitt. Überhaupt sei er hier das Opfer, so Müller: «Die Frau, mit der ich Kontakt hatte, hat mich seither massiv unter Druck gesetzt und damit gedroht, Privates an die Medien und Drittpersonen weiterzugeben und mir damit Schaden zuzufügen.»

Das ist ihr mit Sicherheit gelungen. Trotzdem findet man die Rücktrittsforderungen nur in den Online-Kommentaren von einzelnen Personen. Das Team Baden lässt seinen Stadtammann erwartungsgemäss am allerwenigsten einfach so fallen. Zu mehr als folgender Kritik an Geri Müller liess es sich am Sonntag nicht hinreissen: «Wir distanzieren uns von einem Verhalten, welches dem Ansehen und der Integrität einer Stadt oder einer Behörde schaden könnte.» Nur wenn privates Handeln wie hier eine öffentliche Dimension habe, sei damit eine besondere Verantwortung verbunden. Müllers Verhalten allerdings jetzt schon zu werten, «wäre vorschnell und nicht seriös». Zuerst müsse der Faktengehalt der Vorwürfe geprüft werden. Der Präsident der Grünen Aargau ist zwar auch dieser Meinung. Wenn allerdings die Version der Frau zutreffen sollte, dann hofft Jonas Fricker, «dass Geri Müller die Konsequenzen zieht».

FDP mit Sondersitzung

Entsprechend zurückhaltend äusserten sich auch die anderen Stadtparteien auf Anfrage der az. Selbst die SVP ist der Meinung, Müller solle zuerst die Gelegenheit erhalten, sich zu erklären – auch wenn sich die Rücktrittsfrage aufdränge, sagt Präsident Serge Demuth. Ähnlich tönt es bei der FDP, die 2012 den Stadtammannwahlkampf gegen Müller mit Kandidat Roger Huber hauchdünn verlor. Präsident Matthias Bernhard: «Trotz Unschuldsvermutung ist es fraglich, ob Geri Müller noch tragbar ist.» Um Antworten zu finden, trifft sich der FDP-Vorstand heute Abend zu einer ausserordentlichen Sitzung.

Die CVP Baden, die damals ebenfalls einen Ammannkandidaten stellte, wartet gemäss Präsident Simon Binder eine «klare und detaillierte Stellungnahme zu den einzelnen Vorwürfen» Müllers ab. Bei der SP habe man diese «zur Kenntnis genommen», sagt Andrea Arezina vom Parteivorstand. Es stehe Aussage gegen Aussage, was zuerst untersucht werden müsse.

Auch für den Berner Politikberater Mark Balsiger ist ein Rücktritt Müllers nach dem heutigen Stand nicht angezeigt. Sein Kommentar: «Was Müller tat, haben Hunderte von Wirtschaftsführern, Spitzensportlern und andere Prominente auch schon getan. Auch sie stehen in der Öffentlichkeit, auch bei ihnen gelten moralisch höhere Ansprüche, bloss wurden sie nicht in flagranti erwischt.» Allerdings rät Balsiger Müller, «die gesamte Version seiner Geschichte zu erzählen. Entzieht er sich dem, wird der Druck immer grösser.» Noch besser wäre gewesen, «schneller, persönlicher und offensiver» zu reagieren – Geri Müller war am Freitag mit der Story konfrontiert worden.