Soll das Seniorenzentrum Hintermatt gebaut werden oder nicht? An der Gemeindeversammlung kam es zu einem Grossaufmarsch und zu hitzigen Diskussionen. Der Entscheid über einen Wiedererwägungsantrag zum Verkauf der Parzelle fiel knapp aus.
Davon können andere Gemeinden nur träumen: Bergdietikon erlebte einen Grossansturm auf die Gemeindeversammlung. Erst mit einer Viertelstunde Verspätung konnte die Versammlung eröffnet werden, weil Helfer noch reihenweise zusätzliche Tische und Stühle herbeitragen mussten, bis alle 428 anwesenden Stimmberechtigten im Festzelt vor dem Schulhaus Platz gefunden hatten.
Der Grund für das grosse Interesse heisst Hintermatt: Am Montagabend kam es zum Showdown um das geplante Alterszentrum im Weiler Kindhausen. Das dreieinhalb Jahre dauernde Hin und Her zwischen Befürwortern und Gegnern des Projekts hatte sich in den letzten Wochen vor der Gemeindeversammlung noch intensiviert. Mit eindringlichen Leserbriefen und Flugblättern hatten beide Seiten versucht, die Bevölkerung zu überzeugen, dass es fatal wäre, wenn das Alterszentrum gebaut würde, beziehungsweise, wenn man das Projekt nun wieder begraben müsste.
Abgestimmt wurde jedoch nicht über das Alterszentrum als solches, sondern über einen Überweisungsantrag von Armin Sommer, einem der schärfsten Kritiker des Projekts. Er hatte an der «Gmeind» vor einem Jahr die Forderung gestellt, der Vorvertrag mit der Investorin Oase Holding solle aufgelöst werden.
Dieser wurde abgeschlossen, nachdem die Gemeindeversammlung im November 2012 entschieden hatte, dem Unternehmen die gemeindeeigene Parzelle in Kindhausen für knapp 4,4 Millionen Franken zu verkaufen, damit dieses dort ein Seniorenzentrum erstellen kann. Geplant sind 82 Pflegeplätze und 48 Alterswohnungen.
Sommer beklagte sich darüber, dass der Gemeinderat die Bevölkerung nicht ernst nehme. «Ich bin enttäuscht vom Gemeinderat», sagte er. Das Stimmvolk sei einseitig informiert und hinters Licht geführt worden. Sommer stellte sich, wie er es schon zuvor auf Flugblättern getan hatte, auf den Standpunkt, dass das Alterszentrum gar nicht bewilligungsfähig sei und niemals erstellt werden könne. Zudem sei das Projekt überdimensioniert und unerwünscht, sagte er: «Bergdietiker Senioren wollen das Alterszentrum gar nicht. Sie wollen etwas Kleineres.»
Urs Künzler, der als vehementer Gegner des Projekts im Vorfeld der Gemeindeversammlung ebenfalls Flugblätter verteilt hatte, warf dem Gemeinderat gestern vor, er habe «null Komma null» von dem getan, was die Bevölkerung wolle. Der Gemeinderat behaupte zudem fälschlicherweise, das Alterszentrum müsse in einer bestimmten Grösse geplant werden, damit es rentiere.
Es gebe genügend kleinere Heime, die funktionierten. Das Projekt Hintermatt sei eine «finanzielle Zeitbombe», welche die Gemeinde noch sehr teuer zu stehen kommen könnte. Denn weil man auf auswärtige Bewohner angewiesen sei, werde man auch Sozialkosten importieren.
Der Gemeinderat, der zu Beginn der Versammlung bereits diverse aus seiner Sicht wichtige Punkte dargelegt hatte, betonte, man habe alle Fragen eingehend geklärt und die Antworten seien dokumentiert. Das Projekt sei zonenkonform und bewilligungsfähig, sagte Gemeinderat Ralf Doerig.
Er machte die Gegner zudem darauf aufmerksam, dass die Gemeinde aller Voraussicht nach auch von den Steuern profitieren werde, welche auswärtige Senioren, die in eine Alterswohnung ziehen, bezahlen werden. Im Zusammenhang mit der Planung der Pflegeplätze wies Gemeinderat Urs Emch darauf hin, dass man nicht bloss einen Zeithorizont von ein paar Jahren, sondern von mehreren Jahrzehnten anschauen müsse. In 20 Jahren brauche man voraussichtlich 60 Pflegeplätze, und der Bedarf werde weiter steigen, so Emch.
Ans Mikrofon trat zudem Hanspeter Lingg, der früher, wie Sommer, ein Kritiker des Projekts war. Lingg erklärte sich jedoch später bereit, am runden Tisch mitzuwirken, den der Gemeinderat ins Leben rief, um das umstrittene Projekt neu und mehrheitsfähig zu planen. Seither engagiert er sich für das Alterszentrum: «Heute stimmt das Projekt», sagte er.
Er bat die Versammlung inständig, den Senioren eine Chance zu geben, damit diese nicht mehr länger in andere Gemeinden geschickt werden müssen, wenn sie pflegebedürftig werden. Heute sind diverse Senioren in Spreitenbach oder anderen Gemeinden platziert, weil es in Bergdietikon viel zu wenig Pflegeplätze gibt.
Sie sei empört über die Flugblätter und die Argumentation der Gegner, sagte eine Bergdietikerin. Dass heute so viele Senioren in andere Gemeinden geschickt werden müssten, sei «eine Schande». Dem stimmte der ehemalige Gemeindeschreiber Urs Spörri zu: Es drehe sich vieles um Zahlen. «Aber, meine Damen und Herren, wir sprechen über Menschen.»
Dass man diese «exportiere», sei unwürdig. Ein weiterer Votant, der sich als Finanzspezialist vorstellte, betonte, der Betrieb des Alterszentrums stelle kein finanzielles Risiko dar. Die Gegner würden bloss versuchen, Ängste zu schüren. «Lassen Sie sich nicht verunsichern», sagte er zu den Anwesenden. «Wir können diesem Pflegezentrum gut zustimmen.»
Die Schlussabstimmung – der sogenannte Wiedererwägungsantrag über den Verkauf der Parzelle – fiel denkbar knapp aus: 194 Personen stimmten für den Antrag Armin Sommers, 225 Personen dagegen – und somit für das Alterszentrum. Weil es sich um einen formellen Antrag handelte, nochmals auf den früheren Entscheid zurückzukommen, ist das Resultat endgültig. Es kann kein Referendum dagegen ergriffen werden.