Wettingen
Arabisch-Dolmetscherin: «Ich kann jemandem eine Stimme geben, der selber keine hat»

Die Wettinger Arabisch-Dolmetscherin Danielle Zogg hilft syrischen Flüchtlingen bei ihrer Alltagsbewältigung. Sie brachte sich die Sprache autodidaktisch bei. Ihren Lebenspartner, ein geflüchteter Syrer, lernte sie bei einem Deutschkurs kennen.

Ursula Burgherr
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Liebe zwischen zwei Kulturen: Danielle Zogg und Bashar Said.

Liebe zwischen zwei Kulturen: Danielle Zogg und Bashar Said.

Sandra Ardizzone

Die Situation ist speziell: Danielle Zogg sitzt als Arabisch-Deutsch-Dolmetscherin bei der gynäkologischen Untersuchung einer Syrerin mit dabei. Diese, eine Mutter von drei Kindern, will nicht mehr schwanger werden. «In Syrien geht man nur zum Frauenarzt, wenn man ein Problem hat, und spricht weniger offen über Verhütung und Sexualität», erklärt Zogg. Nicht nur die Sprachbarriere, sondern auch die ungewohnte Intimität macht der Muslimin zu schaffen. Alles ist fremd und neu.

Die freischaffende Dolmetscherin weiss: «Es ist in so heiklen Situationen enorm wichtig, ganz genau zu übersetzen, was passiert. Sonst können Missverständnisse entstehen oder unnötige Ängste geschürt werden.» Schon mehr als einmal musste Zogg erklären, dass ein Krebsabstrich nicht bedeute, dass eine Krebserkrankung vorliege. Denn die für Schweizerinnen selbstverständliche Jahreskontrolle gibt es in Syrien nicht.

Der 34-jährigen Danielle Zogg war die Berufswahl gleich nach dem Germanistikstudium klar: Sie wollte interkulturelle Übersetzerin werden. Dass ihre Hauptzweitsprache Arabisch ist, hat einen simplen Grund. Jahrelang verbrachte die leidenschaftliche Taucherin ihre Ferien in Ägypten. Im Gegensatz zu den meisten Touristen stellte sich bei ihr aber bald das Bedürfnis ein, sich mit den einheimischen Menschen in ihrer Muttersprache unterhalten zu können. Und wenn die gebürtige Ennetbadenerin mit der wilden Lockenpracht sich etwas in den Kopf setzt, beweist sie eiserne Disziplin.

Autodidaktisch brachte sie sich Ägyptisch-Arabisch und später Syrisch-Arabisch bei. Und zwar in Wort und Schrift. Deshalb kann sie den vielen aus Syrien geflüchteten Menschen heute bei ihrer Alltagsbewältigung helfen; sei es in medizinischen, schulischen oder behördlichen Angelegenheiten. Ihr Name ist auf der Dolmetscherliste der Integrationsfachstellen vieler Aargauer Gemeinden aufgelistet. Zudem steht sie in engem Kontakt mit den jeweiligen Betreuungspersonen der Flüchtlinge.

Sprachcafé in der Bibliothek

Danielle Zogg, seit langem in Wettingen wohnhaft, organisiert ein Sprachcafé in der Stadtbibliothek Baden. Dort klärt sie die Neuankömmlinge über Alltagsunterschiede zwischen ihrem Land und der Schweiz auf. «Mein Ziel ist es, dass Besucherinnen und Besucher des Sprachcafés mehr Selbstständigkeit erlangen», bekundet die Vermittlerin und bezeichnet die Personen aus Syrien, die sie vorwiegend betreut, allesamt als extrem integrationswillig.

«Auch Frauen möchten gerne arbeiten und sich nützlich machen. Vor allem für sie würde ich mir Förderungsprogramme wünschen», meint sie dazu. Was das Erlernen der deutschen Sprache anbetrifft, bieten Baden und Wettingen eine grosse Vielfalt von Kursen an. Meist werden sie von Freiwilligen in Eigeninitiative durchgeführt. «Schade, dass offizielle Kurse meist erst in Anspruch genommen werden können, wenn eine Aufenthaltsbewilligung vorliegt», findet Zogg, «viele Geflüchtete leben vorher schon monate- oder gar jahrelang in der Schweiz und hängen viel zu lange im luftleeren Raum. Diese Situation kann zu Depressionen und Lethargie führen.»

Extremes Leid bekommt sie zu hören, wenn sie für Amtspersonen übersetzen muss, warum ein Syrer oder eine Syrerin in die Schweiz gekommen ist. Von Gewalt auf der Flucht und Hungersnöten ist die Rede. Und von Familienangehörigen, die umgebracht wurden. «Die Geschichten der oft traumatisierten Menschen verfolgen mich manchmal lange», sagt Zogg. Sie kann sich gut abgrenzen, macht Yoga und hält sich gerne in der Natur auf.

Ängste und Vorurteile abbauen

Auch ihr Partner ist ein geflüchteter Syrer. Bashar Said, 35, hat das ganze Hab und Gut sowie seine Position als Mathematiklehrer aufgegeben, um aus seinem Heimatort Afrin zu flüchten, wo der Krieg tobt. Die zwei lernten sich bei einem Deutschkurs kennen und lieben, seit 2016 leben sie zusammen in ihrer Wahlheimat Wettingen. Said beherrscht die Sprache, die er erst seit drei Jahren spricht, erstaunlich gut. Er arbeitet Teilzeit im IT-Bereich. Mit seiner Lebensgefährtin spricht er Arabisch.

«Bashar hilft mir oft bei den Vorbereitungen und erklärt mir, wenn ich etwas aus seiner Kultur nicht verstehe», erörtert die weltoffene Schweizerin. Mit ihrem beruflichen Engagement will Zogg Ängste und Vorurteile abbauen. Ein hehres Ziel, das angesichts immer neuer Flüchtlinge manchmal wie ein Fass ohne Boden scheint. Auch für sie, die stets den Dialog zwischen den verschiedenen Welten sucht. Doch die zartgliedrige Frau findet, dass jedes Menschenleben ihren Einsatz wert ist. «Ich kann jemandem eine Stimme geben, der selber keine hat. Für mich gibt es nichts Schöneres», sinniert sie, und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.