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Hunderte Kanti- und Oberstufenschüler gingen vergangenen Freitag in Baden und Aarau auf die Strasse, um sich für besseren Klimaschutz einzusetzen. Schüler erhielten für die Teilnahme am Klima-Streik frei – Kantirektoren erklären weshalb.
Vorbild der «Climate Strike»-Bewegung ist die junge Schwedin Greta Thunberg, die wöchentlich für die Umwelt streikt. Im Vorfeld der Kundgebung hiess es bei den beiden Kantonsschulen Baden und Wettingen noch: «Wer an der Kundgebung teilnimmt, muss seinen Q-Halbtag – also den zusätzlichen Ferienhalbtag pro Quartal – hergeben.» Doch nun zeigt sich, dass die Kantischüler für den Klima-Streik gar freibekommen haben; also weder Q-Halbtag opfern mussten noch eine unentschuldigte Abwesenheit erhalten haben.
Bei Bildungspolitikern kommt das nicht gut an. «Ich habe als Jugendliche ja selber an Demonstrationen teilgenommen und finde es grossartig, wenn sich junge Menschen äussern und ihre Stimme gegen vermeintliche Missstände erheben», sagt Grossrätin und FDP-Fraktionspräsidentin Sabina Freiermuth. Die Zofingerin ist Mitglied der grossrätlichen Bildungskommission und bringt sich in der politischen Diskussion immer wieder mit klaren Meinungen ein. «Es ist das gute Recht auch von Jugendlichen, zu demonstrieren. Viel besorgniserregender finde ich, wenn junge Menschen sich überhaupt nicht am politischen Leben beteiligen und sich nicht um die Zukunft kümmern», sagt Freiermuth.
Und doch fände sie es nicht richtig, dass während der Unterrichtszeit demonstriert würde. «Wenn man schon während der Schule streiken will, dann hat man auch die Konsequenzen zu tragen. Sprich, zumindest die entsprechende Absenz zu kompensieren.» Freiermuth hätte es ohnehin besser gefunden, die Kundgebung hätte an einem Samstag stattgefunden: «An einem Samstag hätten auch besorgte Berufslernende demonstrieren können. An Wochentagen müssen diese hingegen ihrer täglichen Arbeit nachkommen.» Sie warnt auch davor, das Thema Klima zu verharmlosen. Auch «Klima» sei ein stark politisches Thema und im Hintergrund gebe es viele politische Akteure, die versuchen würden, Einfluss zu nehmen. Und Freiermuth macht ein Gedankenspiel: «Was, wenn eine Gruppe dafür demonstrieren will, dass Trump trotzdem ans WEF nach Davos kommt. Kriegen sie dafür dann auch frei?», fragt sie etwas provokant.
Die Wettinger Grossrätin Michaela Huser (SVP) – sie ist ebenfalls Mitglied der Bildungskommission – findet es gar «hochheikel», wenn Schulen ihren Schülern für politische Kundgebungen freigeben. «Wer entscheidet im konkreten Fall, ob das Anliegen genug relevant und vor allem richtig ist», fragt Huser rhetorisch. Wie Freiermuth vertritt auch sie die Meinung, «dass Schüler bereit sein sollten, einen Teil ihrer Freizeit herzugeben, wenn sie sich politisch äussern wollen».
Anderer Meinung ist SP-Grossrätin Simona Brizzi aus Ennetbaden. «Ich begrüsse es immer, wenn sich junge Menschen engagieren und für ihre Zukunft Verantwortung übernehmen», so Brizzi, die Dozentin an der PHZH ist. Das sei gelebte politische Bildung. «Dass die Schülerinnen und Schüler für die Kundgebung freibekamen, finde ich in Ordnung. Wichtig ist dabei, dass die Schule für die Kundgebung einen klaren zeitlichen Rahmen setzt.» Zudem könne die Möglichkeit einer Kundgebung im Sinne einer demokratischen Mitwirkung gemeinsam im Unterricht thematisiert werden, sagt Brizzi.
Daniel Franz, Rektor der Kantonsschule Baden, hat durchaus Verständnis für diese kritische Haltung. «Wir haben uns den Entscheid nicht einfach gemacht und auch ich habe zwei, drei Tage gebraucht, um eine klare Haltung zu finden.» Erst habe er den Schülern gegenüber klar kommuniziert, dass man einen Q-Halbtag drangeben müsse, wolle man am Streik teilnehmen. «Einige Schüler empfanden meine Mail als sehr trocken; sie hätten sich etwas mehr Wohlwollen für ihr Engagement erhofft, weshalb sie das Gespräch mit mir gesucht haben.»
Weil sich dann gezeigt habe, dass der Streik lediglich zwei Lektionen betreffe, habe die Schulleitung im Sinne einer Ausnahme entschieden, dass die Schüler ohne Q-Halbtag, und auch ohne eine unentschuldigte Absenz zu riskieren, am Klimastreik teilnehmen dürfen. «Wir erachten dies als vertretbar und verhältnismässig.» Es sei ja auch nicht so, dass alle Schüler am Streik teilgenommen hätten. Vielmehr habe der Schulunterricht normal stattgefunden.
Und ja, auch er als Rektor habe sich die Frage der Instrumentalisierung gestellt. «Als Schule wollen wir politisch neutral sein.» Im Gespräch mit den Schülern habe er aber echte Sorge und grosses persönliches Engagement gespürt und sich deshalb für ein pragmatisches Vorgehen entschieden. Letztlich sei es aber immer ein Abwägen. Grundsätzlich ist Franz nicht ein grosser Fan von Streiks. «Die direkte Demokratie in der Schweiz erlaubt es jedem, sich in das politische Geschehen einzubringen. Ein Streik hingegen führt nicht selten zu verhärteten Fronten.» Für das Anliegen der Schülerinnen und Schüler hat Franz hingegen grosses Verständnis. «Der Zustand unseres Klimas bereitet uns allen Sorgen. Es ist schön, zu sehen, dass die kommende Generation etwas ändern möchte.»
«Als die Diskussionen über den Klimastreik erstmals aufkamen, war für die Schulleitung klar, dass Schüler, die an diesem teilnehmen wollen, einen Q-Halbtag drangeben müssen», sagt Paul Zübli, Rektor der Kantonsschule Wettingen. Als sich dann aber abgezeichnet habe, dass es sich um lediglich ein bis zwei Stunden Absenz handelt, habe man sich – in Absprache mit der Kanti Baden – dafür entschieden, den Streik als entschuldigte Absenz zur akzeptieren. Zübli hält aber fest, dass im Sinne einer Ausnahme so entschieden worden sei. «Sollten Schülerinnen und Schüler an weiteren Demonstrationen oder Streiks teilnehmen wollen, wird der Unterrichtsausfall auch für die Kanti Wettingen zum Problem. Der Q-Halbtag wäre für die Schüler eine Möglichkeit, unentschuldigte Absenzen zu vermeiden.»