Startseite
Aargau
Baden
Iris Karahusić ist Präsidentin des Schweizerischen Lateintags, der nun zum ersten Mal im Kloster stattfindet.
Iris Karahusić arbeitet zurzeit Tag und Nacht. «Samstag und Sonntag gibt es im Moment gar nicht für mich», sagt die 26-Jährige und lacht. Am kommenden Samstag findet im Kloster Wettingen der Schweizerische Lateintag statt. Karahusić ist Präsidentin des Trägervereins. Nervös ist sie deshalb nicht, sie freut sich auf die Premiere in Wettingen. Bisher war der Lateintag stets in Brugg und in Windisch. Auf Karahusićs Anregung hat sich der Verein entschieden, etwas Neues auszuprobieren. «Die Idee hatte ich schon lange, ich bin hier zur Schule gegangen, und es ist ein wunderbarer Ort mit einem schönen Ambiente», sagt Karahusić.
Als wir sie im Klosterpark treffen, scheint die Herbstsonne durch die alten Bäume auf die Mauern der Zisterzienserabtei Maris Stella, die seit 1847 Lehrerseminar war und seit gut 40 Jahren Kantonsschule ist. Das Motto des diesjährigen Lateintags passt perfekt zu diesem Ort der Kultur und der Bildung: «Ora et labora.»
Mit Rebecca Schenkel, die für das Programm verantwortlich ist, und Lateinlehrerin Sabine Bruggisser sind zwei weitere Wettingerinnen im OK dabei. Der Lateintag entstand 2008 in Brugg und findet seither alle zwei Jahre statt. Die Wettinger Lateinlehrerin Marie-Louise Reinert war die erste Präsidentin des Trägervereins. Das Ziel des Vereins: die Wahrnehmung, Kenntnis und die Wertschätzung des Lateins in der Öffentlichkeit zu fördern und Latein als Unterrichtsfach zu stützen.
2013 hat Reinert ihre ehemalige Schülerin angefragt, ob sie das Präsidium übernehmen möchte. Iris Karahusić war damals 21. Nach kurzem Überlegen hat sie zugesagt. Dabei ist sie ohnehin eine viel beschäftigte Frau: In Würenlos aufgewachsen, hat sie 2011 in Wettingen die Kanti abgeschlossen. Sie studiert an der Uni Zürich Latein und Musikwissenschaften – beides im Hauptfach – und macht das Lehramt. «Wenn alles gut geht, werde ich das Studium im nächsten Sommer abschliessen», sagt sie. Als Lateinlehrerin arbeitet sie schon seit Beginn ihres Studiums an der Kantonsschule Uster.
Karahusić unterrichtet dort auch das Freifach Theater, und bis vor kurzem hat sie die Dramaturgie des Symphonieorchesters Argovia Philharmonic betreut. Sie sei genauso begeisterte Altphilologin wie Musikwissenschaftlerin. «Ich war schon als Kind auffallend musikalisch und an sehr vielen Dingen interessiert», sagt sie schmunzelnd. Als Blockflötistin spielt sie zurzeit eine sogenannte Subbass-Flöte in einem Renaissance-Ensemble. «Ein Riesending», erzählt sie und lacht wieder. «Die Flöte ist einen Kopf grösser als ich.» Ausserdem singt Karahusić im Vocalino, dem Ehemaligenchor der Kanti Wettingen. Sie kommt deshalb jeden Freitag ins Kloster zur Probe. Hier trifft sie immer wieder Kolleginnen und Kollegen oder ehemalige Lehrer.
Iris Karahusić spricht schnell und lebhaft, aber stets bedacht. Sie wählt ihre Worte präzise. «Wir definieren uns über unsere Sprache», sagt sie. «Latein ist zwar eine Sprache, die im Alltag niemand mehr spricht. Aber es ist kein Elite-Fach. Alle fangen mit Latein bei null an, das ist ein schöner Vorteil.» Latein hat heutzutage in der Bildungslandschaft einen schweren Stand. Während es bis vor wenigen Jahren eine Selbstverständlichkeit an den humanistischen Gymnasien und an den Universitäten war, ist heute die Uni Zürich die einzige Hochschule in der Schweiz mit einem Lateinobligatorium an der Philosophischen Fakultät. Und auch dort wird es immer mehr aufgeweicht.
Das Vorurteil, dass Latein verstaubt oder eine «tote Sprache» sei, hört Karahusić meist an den Elternabenden. «Statt Bildung erwartet man von Gymnasien heute oft eine nutzenorientierte ‹Aus-Bildung›», sagt sie. Bei den Schülerinnen und Schülern sehe sie kaum Vorbehalte gegen Latein, im Gegenteil: «Viele sind so begeistert dabei. Schliesslich geht es darum, die Geschichte unserer eigenen Kultur kennen zu lernen.»
Der Lateinunterricht hat sich genauso gewandelt wie bei den modernen Sprachen. Es geht beim Latein um sehr aktuelle Fragen: Wie ist das moderne Europa entstanden? Oder warum ist Rhetorik bis heute so wichtig, besonders in der Politik? «Wie ein Mensch denkt, kann man erst verstehen, wenn man seine Sprache und die Struktur der Sprache versteht», sagt Karahusić. «Dieses Denken ist sehr eng mit unserer Kultur verbunden.»
Das hat auch mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Ihre Mutter machte in den Achtzigerjahren ein Austauschjahr in der Schweiz, um Deutsch zu lernen. Es gefiel ihr so gut, dass sie und ihr Mann beschlossen, aus Bosnien hierherzuziehen. «Als dann 1992 der Bosnienkrieg ausbrach, war für meine Eltern klar, dass sie hierbleiben», erzählt Iris Karahusić. Sie selbst lebt heute im Badener Martinsberg-Quartier. «Ich habe schon in meiner Zeit an der Bezirksschule Wettingen viel Zeit in der Stadt Baden verbracht», sagt sie. Einer ihrer Lieblingsorte war damals die Buchhandlung Librium an der Hirschlistrasse: «Dort habe ich Stunden verbracht. Für mich war es immer klar, dass ich in Baden leben möchte.»
2012 hat Karahusić als SP-Mitglied für den Grossen Rat kandidiert. Sie sei politisch sehr interessiert und könne sich vorstellen, früher oder später ein politisches Amt zu übernehmen: «Ich rede sehr gerne mit, sei es in der Bildungspolitik oder in der Politik überhaupt.» Ihre Berufswahl habe sie bisher nie bereut: «Ich bin sehr gerne Lehrerin. Das hätte ich direkt nach der Matur nie gedacht. Aber es ist das Schönste, wenn ich den Schülern meine Liebe zum Latein weitergeben kann.»
Am Lateintag am Samstag wird es auch wieder eine «musikalische Schiene» geben, in der Aula, dem ehemaligen Sommerrefektorium der Wettinger Mönche. Zur Eröffnung werden Regierungsrat Markus Dieth und OK-Präsident Pius Meyer eine Rede halten. Danach kann man an diesem besonderen Ort in 25 Workshops tief in das lateinische Kulturerbe eintauchen.
6. Schweizerischer Lateintag: Sa, 27.10. ab 8.30 Uhr im Kloster Wettingen. Mehr Informationen unter: www.lateintag.ch