Anne Poland verwandelt in ihrem Geigenbauatelier im Badener Oederlin-Areal Holzrohlinge in Musikinstrumente. Sie verrät, worauf sie beim Herstellen achten muss und worin sich die heutigen Instrumente von ihren antiken Vorgängern unterscheiden.
Das Reich von Anne Poland versteckt sich hinter einer Kampfsportschule im Oederlin-Areal. Es ist vollgestopft mit Schnitzeisen und -messer, Hobeln und Sägen. Modellbandsäge, Bohrmaschine und Schleifgeräte muss die 45-jährige Geigenbauerin unter den Arbeitstisch schieben, damit sie mehr Bewegungsfreiheit hat. Überall stehen und hängen Streichinstrumente in verschiedenen Grössen, die bei ihr in Reparatur sind oder als Kauf- und Mietinstrumente zur Verfügung gestellt werden.
Die Geschäfte laufen gut – seit Corona sogar besser denn je. «Viele Kundinnen und Kunden haben in der Zeit des Rückzugs angefangen, ein Instrument zu spielen oder wollen ihre Kenntnisse von früher wieder reaktivieren», sagt Poland. Sie hält eine fast fertige Bratsche in ihren Händen, die noch lackiert werden muss. An ihr will sie nächsten Herbst im Ennetraum Ennetbaden einem interessierten Publikum die vielen Arbeitsschritte erklären, die es vom Holz bis zum fertigen Objekt braucht.
Rund 250 Stunden benötigt Poland, um eines ihrer Saiteninstrumente zu bauen. Für die Decke benutzt sie Fichtenholz, das vorwiegend aus Alpenregionen stammt. Boden, Zargen, Schnecke und Hals werden aus Ahorn gefertigt. Zuerst fängt sie aber an, die Verstärkungsklötzchen zu hobeln, die später im Bauch der Geige verborgen sind. Sie werden an ein Formbrett geleimt. Dann arbeitet sie aus den Holzrohlingen die millimeterdünnen Seitenwände, Decke und Boden heraus. Zum Schluss wird der Klangkörper mit in Öl oder Alkohol gelösten Pinienharzen in 15 bis 30 Schichten lackiert.
«Im Geigenbau wird noch vieles so gemacht wie vor 300 Jahren», erklärt die gebürtige Berlinerin. Nur die Saiten, die früher aus Schafsdarm hergestellt wurden, sind heute meist synthetisch. Bei ihrer Arbeit muss jeder Handgriff sitzen. Denn schon der minimste Patzer kann das ganze Instrument ruinieren. Geigen sind auf dem Internet schon ab 100 Franken im Angebot. «Allerdings liegen sie deutlich unter meinem Qualitätsanspruch», beanstandet Poland.
Bei ihr kann ein Instrument ab rund 2500 Franken erworben werden. Wenn sie es von Grund auf selber baut, kommt es auf etwa 20000 Franken zu stehen. Der heutige Geigenbau habe gegenüber den jahrhundertealten und teilweise millionenteuren Stradivaris und Co. einen schweren Stand. Ungerechtfertigt, findet sie als Fachfrau und sagt: «Neue Streichinstrumente können genauso gut klingen, wie ihre antiken Vorfahren.»
Doch kann sie vom Geigenbau leben? «Wenn ich alleinstehend wäre sehr wohl», sagt die Handwerkerin. Aber sie hat drei Kinder zwischen 7 und 12 Jahren. Ihr Ehemann bekam 2007 eine Stelle im Forschungsbereich der ABB. Deshalb lebt Poland heute mit ihrer Familie in Nussbaumen. Vorher lebte das Paar – damals noch kinderlos - in Japan.
Poland spielt selber Geige, ihr Gatte begleitet sie am Cello. Musikalität ist für ihre Arbeit eine wichtige Voraussetzung. Sie sagt:
«Die Vorstellung, wie ein Instrument klingen soll, leitet mich beim Bau an.»
Ihre Lehre hat sie im württembergischen Allgäu gemacht. Danach schloss sie ein Studium in Musikwissenschaften an. Für die Abschlussarbeit zog sie nach Mailand. In der Schweiz existieren zurzeit rund 150 Geigenbauerinnen und -bauer.