Das junge Kollektiv «Wir sprechen an» möchte mehr Awareness und Konsent in der Clubkultur. An der Vernissage im Badener Kulturhaus zeigte sich: Viele fühlen sich persönlich angesprochen.
Das Kollektiv «Wir sprechen an» wurde 2021 von Simona Hofmann sowie Kantonsschülerinnen und -schülern gegründet. Mit Stellwänden und einem Rundgang im öffentlichen Raum machten sich Jugendliche vor einem Jahr gegen sexuelle Übergriffe stark, die manche unterwegs schon oft erlebt hatten. Jetzt studieren die meisten von ihnen – und setzen sich weiterhin für einen respektvollen Umgang untereinander ein.
Will heissen: Niemand soll einer anderen Person auf unerwünschte Weise zu nahe treten. Im Badener Royal zeigen sie das Resultat, das aus verschiedenen Workshops entstanden ist. Auf 16 Bildschirmen sieht man alte und junge Menschen, deren Gesichter ohne Worte Bände sprechen. Im Ein- und Ausgangsbereich sind Leuchtpanels installiert, die wie Notfallschilder wirken.
Achtsamkeit und Rücksichtnahme sind für die jungen Frauen ein wichtiges Thema. Speziell für die Vernissage im Royal lief eine von ihnen einen Tag lang mit einem riesigen Plakat in Baden herum, auf dem «Erlebst du sexuelle Belästigung?» stand.
Eine Passantin fühlte sich angesprochen und erzählte: «Das erste Mal war es im Bus. Niemand half mir. Deshalb dachte ich, das sei normal.» Ein Mann zeigte sich überzeugt: «Man muss die Schuld von den Opfern wegnehmen, es liegt nicht an ihnen.» Und eine ältere Dame meinte gar: «Bleibt zu Hause, dann werdet ihr auch nicht sexuell belästigt.»
Der daraus entstandene Film mit teilweise verblüffenden Aussagen wurde ebenfalls an der Vernissage im Royal gezeigt. Doch die jungen Menschen wehren sich. «Wir finden, es müsste schon in der Schule thematisiert werden, dass es kein Recht gibt, Grenzen zu überschreiten. Wir müssen aufeinander achtgeben. Aber es gibt immer noch viele Clubs, in denen unschöne Sachen passieren.»
Das Kollektiv will Machtstrukturen aufzeigen, Tabus ansprechen und steht für eine freie Sexualität mit viel Respekt ein. Für die zweite Ausgabe wurde ein Kartenspiel entwickelt, auf dem intime Fragen wie «Warst du schon eifersüchtig?», «Müssen alle beim Sex einen Orgasmus haben?» oder «Wann fühlst du dich nicht wohl beim Sex?» stehen. Es soll zu Gesprächen anregen, die sonst nicht thematisiert werden.
«Wir wünschen uns mehr Feingefühl im Miteinander, in der Clubkultur, aber auch in privaten intimen Beziehungen. Dazu braucht es uns alle», meint Lou Messmer, eine der jungen Kollektivistinnen. Karin, die Mutter einer der mitwirkenden Studentinnen, ist begeistert, wie vielfältig und unterschiedlich das Thema umgesetzt wurde: «Es ist berührend, mitzuerleben, wie sich junge Menschen für ein Anliegen einsetzen, dass sie selber, aber auch die ganze Gesellschaft betrifft.» Und Franziska fand: «Auch wenn damit nicht alle Leute erreicht werden, ist es trotzdem schön, dass hier so viel Interesse besteht und das Projekt weitergeht.»
Das Royal war zur Vernissage randvoll, was die Dringlichkeit des Themas unterstreicht. Weitere Zusammenarbeiten sind mit dem Oxil Zofingen (Queer-Festival) im Herbst 2023 geplant.