Baden
Liebeserklärung an alte Menschen: Pensionierte Schauspieler zeigen eine Inszenierung, die ans Herz geht

Das Kurtheater Baden stellt mit «Addio Amor» ein Stück über das Altwerden und Altsein zur Diskussion. Mittendrin: der Badener Schauspieler Hansrudolf Twerenbold.

Elisabeth Feller
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Einer müht sich ab mit dem Erstellen eines Würfels (Siggi Schwientek, links); einer erinnert sich an «Nachtgespräche mit Fidel» (Schauspieler Hansrudolf Twerenbold, Mitte) und einer hört zu (Urs Bihler, rechts).

Einer müht sich ab mit dem Erstellen eines Würfels (Siggi Schwientek, links); einer erinnert sich an «Nachtgespräche mit Fidel» (Schauspieler Hansrudolf Twerenbold, Mitte) und einer hört zu (Urs Bihler, rechts).

Bild: zvg

Giuseppe Verdis Violetta Valéry singt in der Oper «La Traviata» von Abschied, was die Zuhörerin stets mit Wehmut erfüllt. Auch jetzt, wenn im Kurtheater eine ältere Aufnahme an ihre Ohren dringt. Es knistert, was aber zu einem Abend passt, der den Titel «Addio Amor» trägt.

Dieses Addio sagen Menschen, von denen die Jüngste noch keine 70, der Älteste jedoch über 80 ist. Sie haben auf grossen Bühnen gespielt; aber nun leben sie in einer Seniorenresidenz, um den «goldenen Lebensabend», umsorgt von einer überlasteten, jungen Pflegefachfrau (Lisa Bärenbold), zu geniessen.

Ausgesperrt von der Gesellschaft

Diese alten Menschen sind von einer Gesellschaft ausgesperrt, die dem Jugendlichkeits- und Selbstoptimierungswahn huldigt. Eingesperrt sind sie, weil physische oder psychische Einschränkungen keinen grösseren Bewegungsradius mehr zulassen.

Da erträumt sich eine Schauspielerin (Barbara Falter) eben eine Traumwelt mit Lessings Gräfin Orsina; müht sich einer beim Erstellen eines Würfels (Siggi Schwientek); hält ein anderer (Hansrudolf Twerenbold) an der Probe mit einer Kollegin (Suzanne Thommen) fest; wohlwissend, dass ihm der Kniefall in «Robert und Marie» nicht mehr so gelingen wird wie einst: Arthrose.

Auch die starke Geste, die er ehemals in «Nachtgespräche mit Fidel» ausgeübt hat, fällt gemässigter aus. Doch das spielt keine Rolle, denn das Publikum freut sich über solche Momente, weil es sich an Zeiten erinnert fühlt, als sich der Badener Twerenbold für Paul Haller starkgemacht und den Fidel mit bärbeissiger Lust am politischen Diskurs gespielt hat.

Und wie war das noch mit dem glasklar gesprochenen, bis in die letzte Reihe des Kurtheaters vernehmlichen Buchstaben «T»? Klar, das war Klaus-Henner Russius, der als junger Schauspieler ans Theater St.Gallen engagiert wurde und im Sommer jeweils im Kurtheater spielte. Und mit Urs Bihler und der Pointen wie trockenen Sherry servierenden Maja Stolle sind der Schauspieler-Glücksmomente noch mehr.

Sie lassen Resignation und Wut hinter sich

Also ist «Addio Amor» ein Nostalgieabend? Nein. Katja Früh (Text), Klaus Hemmerle (Regie), Angelika Thoma (Kostüme) und Adrian Marthaler (Produktion) sind viel zu sensible Menschenbeobachter, um daraus «nur» einen solchen zu gestalten. Das Quartett stellt vielmehr den gesellschaftlichen Umgang mit Älteren auf den Prüfstand, wobei Klischees hierbei eine – bedrückend abwertende – Rolle spielen.

Dabei verfügen alte Menschen über einen immensen Lebenserfahrungsschatz; schlummert so viel Potenzial in ihnen, dass sie – wie in diesem Stück – beim angekündigten Abriss der Residenz und dem drohenden Tod mit einem Mal Resignation, Wut und Aufbegehren hinter sich lassen und zu schierer Leichtigkeit finden.

Ensemble von Charakterköpfen

Wir sehen zu, wie dieses Ensemble von Charakterköpfen spielt – und schliessen es in unser Herz. Wundersam ist diese fliessend von Mundart ins Bühnendeutsche wechselnde Inszenierung, die auf der Bühne des Kurtheaters mit Blick in den Zuschauerraum stattfindet.

Ins Kapitel «Wundersam» zählt auch diese Szene. Als die erschöpfte Pflegefachfrau zusammenbricht, fordert sie eine ältere Schauspielerin zart auf: «Sie tanzen doch so gerne?»

Und so tanzen alter und junger Mensch über die Bühne zu Procol Harums «A Whiter Shade Of Pale»; ein feiner musikalischer Akzent in einem Stück, das ohne moralinsauren Druck viel vom Altwerden und Altsein erzählt – und dabei vor allem eines ist: eine Liebeserklärung an alte Menschen.

Kurtheater Baden, Vorstellung am 10. November, www.kurtheater.ch