Kanton, Staatsanwaltschaft und die Aargauer Datenschützerin antworten auf die Kritik des Badener Stadtrats. Es zeigt sich: Die Stadtpolizei Baden wurde vom Kanton häufiger über die rechtliche Situation zu den Fahrverbotskameras orientiert, als dies der Stadtrat angab.
Badens Stadtrat hat sich vergangene Woche gegen den Vorwurf gewehrt, die Fahrverbotsblitzer seien jemals illegal betrieben und Bussen unrechtmässig ausgestellt worden. In seiner Antwort auf die dringliche Anfrage von Einwohnerrat Mike Rinderknecht (SVP) kritisierte er das Urteil des Bezirksgerichts Baden, die Oberstaatsanwaltschaft, das Departement Volkswirtschaft und Inneres von Regierungsrat Dieter Egli (SP) und die kantonale Datenschützerin Gunhilt Kersten.
Die Verordnung über die Videoüberwachung der Stadt Baden führte bis 2019 die drei Fahrverbotskameras an Stadtturm, Schiefer Brücke und Schartenstrasse auf. Bei der damaligen Revision der Verordnung liess Kersten die Kameras streichen.
Sie habe weder deren Betrieb bis dahin bemängelt noch «eine umgehende Einstellung der Kontrollen» gefordert, schreibt der Stadtrat. Doch gehört das zu ihrer Kompetenz und ihren Aufgaben?
Kersten antwortet: «Die Vertreter der Stadt Baden wurden an der Besprechung vom 29. Oktober 2019 klar darauf hingewiesen, dass die Verwendbarkeit der Kameras im Ordnungsbussenverfahren nicht von der Datenschutzbeauftragten, sondern von den Strafbehörden zu beurteilen ist. Letztlich ist aber jede Behörde selbst dafür verantwortlich, auf dem Boden des geltenden Rechts zu handeln.»
An jener Sitzung sei, so Kersten, den Vertretern der Stadt erklärt worden, «dass Ordnungsbussen wegen Verkehrsregelverletzungen aus strafprozessualen Gründen nur dann ausgesprochen werden können, wenn die Widerhandlung entweder direkt durch die Mitarbeitenden der Polizei selbst oder mit Hilfe eines bundesrechtlich zugelassenen Messmittels festgestellt wurde.»
Ihre Bewilligung mache «aus einer Videokamera kein bundesrechtlich zugelassenes Messmittel und war daher für den von der Stadt Baden angestrebten Zweck sinnlos».
Im Oktober 2019 war noch offen, ob auf Bundesebene eine Rechtsgrundlage für die Fahrverbotskameras wird, indem die Messmittelverordnung geändert wird. Im Januar 2020 war dies aber vom Tisch. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement verzichtete nach den Stellungnahmen der Kantone auf die Revision der Verordnung.
Bis zur Streichung der Kameras aus der Überwachungsverordnung «war die Verwendung der Videoüberwachung der Fahrverbotskontrolle ohne weiteres rechtmässig», schrieb der Stadtrat. Er verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft auch danach gegen jene Autofahrer, welche die Ordnungsbussen der Stadtpolizei nicht bezahlten und daraufhin von ihr verzeigt wurden, mit einem Strafbefehl vorging.
Das begründete Urteil des Bezirksgerichts Baden lag im Januar 2021 vor. Bis dahin sei auch die Staatsanwaltschaft im Grundsatz ebenfalls davon ausgegangen, dass die Anwendung der Fahrverbotskameras zulässig war, wie Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht sagt.
Der Badener Stadtrat kritisierte die Oberstaatsanwaltschaft dafür, dass sie keine Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts eingereicht hatte. Umbricht entgegnet: «Die Staatsanwaltschaft Aargau ergreift nur dann die Berufung, wenn eine hinreichende Chance auf Erfolg besteht. Aufgrund des sehr sorgfältig und einlässlich begründeten Entscheides des Bezirksgerichts Baden und weitergehenden Abklärungen kam die Oberstaatsanwaltschaft zur Überzeugung, dass der Entscheid richtig ist und dass eine Berufung keine hinreichende Erfolgschance hat.»
In einem Schreiben an Regionalpolizei-Chefs vom 19. Januar 2022 hatte Dieter Egli ausgeführt, dass seine Mitarbeiter diese bereits mehrmals auf die Rechtslage hingewiesen und ihnen dringend empfohlen hatten, die unzulässige Praxis der Fahrverbotsblitzer einzustellen. Der Badener Stadtrat bestätigte Rinderknecht nur eine Information an der Orientierungsversammlung des Verbands der Aargauer Regionalpolizeien (VAG) am 8. Juni 2021.
DVI-Sprecherin Sandra Olar sagt der AZ, dass dem VAG danach ein schriftlicher Bericht samt ausführlicher Begründung zur Verfügung gestellt wurde. Der Oberstaatsanwaltschaft waren diese Informationen dagegen nicht bekannt, wie Philipp Umbricht sagt.
Erstmals hatte das DVI die Repol-Chefs laut Sprecherin Olar am 26. Oktober 2020 informiert. Die AZ hat das Schreiben vom DVI gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten. Darin heisst es etwa: «Die Gemeinden dürfen keine Ordnungsbussen erheben, wenn sie Verstösse gegen Fahrverbote mittels Überwachungsanlagen feststellen, die nicht die Anforderungen des Messgesetzes erfüllen.»
Hier finden Sie den DVI-Bericht vom 26.10.2020