Baden
Verein setzt sich seit 100 Jahren für Schwerhörige ein: Am Anfang steht ein Hörender

Emil Jappert war 1922 der erste Präsident von Pro Audito Baden – damals noch «Hepatha»-Verein genannt –, obwohl er gar nicht schwerhörig war. Was es damit auf sich hat, erzählte Stadträtin Regula Dell'Anno an der 100. Generalversammlung – Jappert ist ihr Urgrossvater.

Claudia Laube
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Emil Jappert klärte über die verschiedenen Folgen von Schwerhörigkeit auf.

Emil Jappert klärte über die verschiedenen Folgen von Schwerhörigkeit auf.

zvg

Vor 20 Jahren war es noch ihr Vater Franz Doppler, der zum damals 80. Jahrestag des Badener Schwerhörigenvereins eine Laudatio auf seinen Grossvater hielt. Den 2018 verstorbenen Doppler kannte man als Inhaber der Buchhandlung Doppler zum Pflug. Im Jahr 2022 ist es nun an seiner Tochter, der heutigen Stadträtin Regula Dell’Anno, von der Geschichte ihres Urgrossvaters zu berichten. Denn Emil Jappert steht ganz am Anfang des Vereins, der seit dem Jahr 2000 Pro Audito Baden heisst.

Am Samstag sprach Dell'Anno an der 100. Generalversammlung über das Wirken von «Japs» (Tschäps), wie er wegen seines Familiennamens genannt wurde. Doch nicht nur ihm, sondern «allen Mitgliedern der letzten 100 Jahre ist es zu verdanken, dass Menschen mit einer Hörschwäche oder einer Gehörlosigkeit heute nicht mehr ausgegrenzt werden», sagte sie an der GV. Der Verein organisiert seit jeher Kurse und Vorträge, aber auch Wanderungen und andere Ausflüge, um die Gemeinschaft zu fördern.

«Hepatha – öffne dich!»

1922 war im damaligen Ländlischulhaus der Hephata-Verein mit Jappert an der Spitze gegründet worden. «Hepatha – öffne dich!» war die Formel, mit der Jesus laut dem Neuen Testament einen Taubstummen heilte. Inzwischen hat der Verein aber einige Namenswechsel hinter sich. Nach Hepatha hiess er Schwerhörigen-Verein und später Verein für Hörbehinderte.

Die ganze 100-jährige Geschichte hat die Gebenstorferin Jacqueline Keller für das Jubiläum in Detailarbeit in einer Chronik zusammengetragen. Keller ist eines von fünf Mitgliedern des Vorstands, der seit rund einem halben Jahr, seit Oktober 2021, von Monica Varghaiyan präsidiert wird. Zuvor war das Amt über ein Jahr coronabedingt vakant.

Bewegung schwappte von Deutschland in die Schweiz

Um das Jahr 1900 war in Deutschland die «Hepatha»-Bewegung entstanden und erste «Sondergottesdienste» für von Schwerhörigkeit betroffene Menschen durchgeführt worden. 1912 folgte ein erster Hepatha-Verein auch in Zürich.

Den grössten Stellenwert hatten damals Lippenablesekurse. Einen solchen Kurs führte der Zürcher Verein 1922 auch in Baden durch. Zwölf Personen besuchten ihn, wie Jacqueline Keller in Erfahrung bringen konnte. «Man erkannte die Notwendigkeit und Vorteile eines Zusammenschlusses von Schwerhörigen auch in der Region Baden», schreibt sie in der Chronik. Zu Beginn konnte der Verein 17 Mitglieder verzeichnen.

Emil Japperts Nachfahren nehmen an, dass er, der das Lehrerseminar in Wettingen besucht hatte und selbst gar nicht hörbeeinträchtigt war, sich an die Taubstummenanstalt im Badener Liebenfels erinnert hatte, dort, wo heute der Friedhof ist. 1911 war die Anstalt in den Landenhof in Unterentfelden verlegt worden. Neu in die Räumlichkeiten zog die neu gegründete Handwerkerschule, die Vorläuferin der gewerblichen Berufsschule. An letztere hatte sich Jappert wählen lassen und dort mit seiner Familie eine Amtswohnung bezogen.

Als er sich elf Jahre später als «Hepatha»-Präsident zur Verfügung stellte, lebte er mit Frau und Kindern aber in einem Haus an der Schartenstrasse und lehrte an der Stadtschule.

Jappert verhundertfachte das Vereinsvermögen

Der 1878 im Fricktal geborene Jappert habe die Geselligkeit sowie die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geliebt, führte Dell’Anno an der GV aus. Sein Engagement für den Verein habe zum einen der Mittelbeschaffung, zum anderen aber vor allem den Kindern und Jugendlichen gegolten, die aufgrund einer Schwerhörigkeit sozial ausgeschlossen wurden, nicht richtig sprechen und nicht am sozialen Leben teilhaben konnten.

In Zeitungsartikeln klärte er die Öffentlichkeit über Aufgaben und Zweck des Vereins auf und warb mit Werbe- und Bettelbriefen an gut situierte Leute um Gönner- und Passivmitglieder. Ende Gründungsjahr habe das Vereinsvermögen 1 Franken 50 betragen, dank Jappert stieg dieser Betrag bis 1929 auf mehr als 2000 Franken.

Jappert verstarb 1937, mit nur 59 Jahren, an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ab diesem Zeitpunkt übernahm mit Frieda Roth eine Frau das Präsidium, damals eine Rarität. Sie führte den Verein 35 Jahre lang.