Die Bildungsplattform «nanoo.tv» erleichtert es Lehrern, TV-Beiträge in die Schulstunden einzubauen. Die Badener Firma Werft22, Erfinder des neuen Unterrichtsmittels, wird aus der ganzen Schweiz mit Anfragen überhäuft.
Wer kennt es nicht aus der eigenen Schulzeit? Der Lehrer müht sich mit der Technik ab, spult die Videokassette vor und zurück, um die richtige Stelle zu suchen, während die Klasse ungeduldig darauf wartet, was denn nun eigentlich für ein Film gezeigt werden soll. Lehrer- und Schülerschaft dürften sich deshalb gleichermassen über die Erfindung der Badener Firma Werft22 freuen.
Das IT-Unternehmen nennt seine preisgekrönte Bildungsplattform «nanoo.tv» (siehe Kontext). Sie soll es Lehrern erleichtern, im Unterricht Ausschnitte aus Radio- und TV-Sendungen sowie Filmen zu zeigen. Diese werden im Internet aufgezeichnet, sodass eine ständig wachsende Bibliothek entsteht, auf welche die ganze Lehrerschaft einer Schule zurückgreifen kann.
Von «10 vor 10» bis «Kassensturz»
Per Suchfunktion sind die Beiträge im Archiv leicht auffindbar. Ausserdem können die Sequenzen je nach Bedarf für den Unterricht geschnitten werden. Will man also Beiträge verschiedener Sendungen zu der aktuellen Präsidentschaftswahl in den USA zeigen, kann man diese mit «nanoo.tv» zusammenschneiden und die Beiträge an einem Stück zeigen. Sendungen wie «10 vor 10», «Rundschau» oder «Kassensturz» werden automatisch gespeichert, andere können von den Lehrern programmiert werden. «Alles, was in der Schweiz frei empfangbar ist, kann aufgenommen werden», sagt Henning G.Timcke, Geschäftsführer der Werft22 und iCEO von «nanoo.tv». «Bis auf ein iPad oder einen Laptop und eine Internetverbindung ist keine Infrastruktur nötig, um die Filme abrufen zu können.»
Nanoo.tv hat Anfang Oktober den zweiten Platz bei der «EuroCloud Award»-Verleihung in Luxembourg gewonnen. Nominiert in der Kategorie «Best Cloud Service Offering», war nanoo.tv unter den besten drei. «Beachten wir, was unsere Konkurrenten für Ressourcen zur Verfügung haben, ist die Nomination des Projektes der Werft22 eine Sensation», sagt Henning G. Timcke, CEO von nanoo.tv. So habe die drittplatzierte Firma rund 160 Mitarbeiter, das Unternehmen auf dem ersten Platz stehe kurz vor dem Börsengang. «Mit dem Preis wurde uns bestätigt, dass das Konzept der Werft22 und nanoo.tv funktioniert», so Timcke. (az)
Schon jetzt setzen die Hochschule der Künste in Zürich (ZHDK), das Berufsbildungszentrum in Luzern und die Schulen Nürensdorf im Kanton Zürich «nanoo.tv» im Unterricht ein. Stefan Zurkirchen, Prorektor und Lehrer am Berufsbildungszentrum Bau und Gewerbe in Luzern, ist «rundum zufrieden» mit «nanoo.tv». Er zeigt im Allgemeinbildungs-Unterricht über die Plattform häufig Filmsequenzen.
Über 60 Lehrpersonen nutzen «nanoo.tv» an der Luzerner Schule mit rund 5000 Lernenden bereits. «Wir müssen uns nicht mehr lange darum kümmern, ob die Videokassette oder DVD zur Verfügung stehen oder ob ein anderer Lehrer sie gerade braucht», sagt Zurkirchen. Darüber hinaus sei die Handhabung sehr einfach und ermögliche es, den Unterricht von zu Hause aus vorzubereiten. «Die Plattform erfüllt alle Voraussetzungen, um sie auf sämtliche Berufsschulen im Kanton Luzern auszudehnen», ist Zurkirchen überzeugt. Er geht davon aus, dass dies in den kommenden Monaten auch geschieht.
Die Nachfrage ist riesig
Zahlreiche weitere Schulen haben gegenüber der Werft22 ihr Interesse signalisiert: «Seit Anfang Jahr haben wir rund 2000 Anfragen aus der ganzen Schweiz erhalten», sagt Timcke. «Wir kommen fast nicht nach mit der Bearbeitung aller Kundenanfragen.» Die grosse Nachfrage bringt die fünf Mitarbeiter jedoch an ihre Grenzen. Die E-Gitarre im Büro an der Mellingerstrasse sei gewissermassen ein Symbol für seine Work-Life-Balance, sagt Timcke augenzwinkernd. «Momentan hängt sie mehr an der Wand, als dass sie im Einsatz wäre. Ich arbeite sieben Tage die Woche.» Der ehemalige Zeichenlehrer ist gegenwärtig viel auf Achse, um Schulen aus der ganzen Schweiz zu besuchen, die sich überlegen, «nanoo.tv» einzuführen.
«Wir bräuchten zusätzliches Personal, das verhandeln, erklären und einführen kann», sagt Timcke. Dies stellt das Kleinunternehmen jedoch vor ein weiteres Problem: die Finanzierung. Bis jetzt ist es trotz Businessplan und vielen Interessenten nicht gelungen, die benötigten Gelder aufzutreiben. Und was ist, wenn dies in naher Zukunft nicht gelingen sollte? «Der ideale Plan B wäre es, so schnell genügend Kunden zu finden, dass die Kredite der Banken gar nicht nötig sind.» Falls dies nicht klappen sollte, versuche man private oder öffentliche Geldgeber von der Idee zu überzeugen.
Die Klärung der Urheberrechtsfrage hat viel Zeit in Anspruch genommen. Seit Anfang Jahr ist der Eigengebrauch von Filmmaterial für Schulen nun geregelt. Im gesetzlichen Tariftext ist festgehalten, welche Beträge pro Klasse an ProLitteris, die schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst, bezahlt werden müssen. In der Folge verteilt ProLitteris die Anteile an die Inhaber der Rechte. Diese Kosten übernehmen in der Regel die Kantone – zwischen 11 Rappen (obligatorische Schulen) und 1.75 Franken (Universitäten) pro Schüler und Schuljahr. Die Kosten für «nanoo.tv» sind somit abhängig von der Grösse der Schule sowie der Schulstufe.
Erste Kontakte nach Luxemburg
Um «nanoo.tv» nicht nur in der Deutschschweiz verbreiten zu können, bedarf es einer Übersetzung der Plattform ins Französische und Italienische. Fernziel der Badener Firma ist es, «nanoo.tv» über die Grenze hinaus zu verkaufen. «Wir stehen am Anfang von Gesprächen über die Einführung von ‹nanoo.tv› an luxemburgischen Schulen.» Und so können sich die Schüler in Luxemburg womöglich schon bald darüber freuen, Filmausschnitte ohne langes Vor- und Zurückspulen anschauen zu können.