Montagsportrait
Badens wichtigste Archäologin: Andrea Schaer und ihre Beziehung zum Bäderquartier

Wer Andrea Schaer trifft, lernt eine burschikose und herzliche Frau kennen. Sie setzt sich seit langem dafür ein, dass es mit dem Bäderquartier vorwärtsgeht.

Ursula Burgherr
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«Baden ist ein Meilenstein für die Forschung», sagt Andrea Schaer, Bäderquartier-Expertin, Historikerin und Archäologin.

«Baden ist ein Meilenstein für die Forschung», sagt Andrea Schaer, Bäderquartier-Expertin, Historikerin und Archäologin.

SEVERIN BIGLER

Während des Archäologiestudiums kam Andrea Schaer das erste Mal mit Baden in Kontakt. «Ich musste zwei Thesen über Ausgrabungen prüfen. Es ging dabei vor allem um die Chronologisierung von Keramikfunden. Ich fand es langweilig», erzählt sie in breitem Bernerdialekt und lacht. Als sie 2002 in der Kantonsarchäologie Aargau als Bereichsleiterin «Ausgrabungen Kanton» unter anderem auch für Baden zuständig wurde, zog sie von ihrem vorherigen Arbeitsort im Jura nach Brugg.

«Um mein neues Umfeld kennen zu lernen, ging ich an einem freien Tag ins Badener Thermalbad. Es war ziemlich vergammelt. Im Verenahof war man gerade dabei, das noch verbliebene Hotelmobiliar herauszutragen. Ich hatte damals keine Ahnung, was für eine Tragweite dieses Bad einmal für mich einmal haben würde», erinnert sich die Wissenschaftlerin.

Wer die 47-jährige Archäologin aus Bern trifft, lernt eine burschikose und herzliche Frau kennen. Eine Macherin, die kein Blatt vor dem Mund nimmt und sich mit zu viel Beamtentum oft schwertut. «2006 bekam ich ein dickes Paket mit der Gestaltungs- und Entwicklungsplanung zur Neugestaltung des Thermalbads auf den Tisch und erfuhr, dass Benno Zehnder die Bäder gekauft hatte. Da keimte in mir die Hoffnung auf, dass die Geschichte von Baden endlich weitergeschrieben wird», erzählt sie. Nach einem Orientierungsrundgang zu den Quellen im Quartier, die seit 2000 Jahren genutzt werden, war Schaer überwältigt: «Ein verrückteres und komplexeres Projekt als dieses wird mir in meiner Karriere nie mehr in die Hände geraten», ist sie sich bis heute gewiss. Und Schaer liebt Herausforderungen.

Richtig Feuer und Flamme war sie, als ein Arbeitskollege das komplexe archäologische Handling in den Bädern als «Ding der Unmöglichkeit» bezeichnete. Geht nicht, gibt es für sie nicht. Es oblag ab dato ihr und Grabungstechniker Rolf Glauser, zu bestimmen, wo zum Erhalt von wertvoller Kulturgeschichte gegraben werden musste. Und zu entscheiden, wie mit archäologischen Funden und der historischen Bausubstanz bei einem Neubau umgegangen werden soll. Eine riesige Verantwortung.

Vom Juni 2009 bis Januar 2016 übernahm Andrea Schaer im Auftrag der Kantonsarchäologie Aargau die Projektleitung des Thermalbadprojekts von Mario Botta. Sie war Co-Autorin der «Stadtgeschichte Baden», die 2015 in Buchform herauskam. Die Bernerin, die mittlerweile in Oberwangen bei Bern lebt, engagiert sich mit mehr Herzblut für die Limmatstadt und ihre uralte Badekultur als so mancher Einheimische. Sie setzte sich von Anfang an dafür ein, dass es mit dem Bäderquartier vorwärtsgeht.

«Das Unsinnigste wäre für mich gewesen, wenn an diesem Ort nicht mehr gebadet würde und stattdessen – wie in den 90er-Jahren geplant – eine Altersresidenz oder etwas anderes als ein Thermalbadbetrieb entstanden wäre», meint Schaer, und ihre Augen hinter der Brille funkeln energisch. Sie bezeichnet die Badener Bäder als «Intensivstation von 2000 Jahren Kulturerbe». Es gehe nicht um Botta oder nicht Botta, sondern nur noch darum, dass Baden endlich wieder ein Thermalbad bekomme. Sie hat legendäre Kurorte wie Bath, Vichy und Baden-Baden besucht, die heute Weltkulturerbe sind – oder sich darum bewerben. Dass Baden derweil stehen geblieben ist, sei nachvollziehbar. «Hier fehlten einfach zu lange die treibenden Kräfte. Dann wurde im 19. und 20. Jahrhundert die Industrie zum wichtigsten Wertschöpfungsfaktor der Stadt. Die Bäderkultur geriet dadurch leider total ins Hintertreffen.»

Mit ihrem Archäologie-Team brachte Schaer nicht nur römische Bassins zutage, sondern auch Bäder aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Europaweit einzigartig ist die Ausgrabung im Bereich beim Römerbad mit einer ganzen Sequenz von Anlagen, die vom Hochmittelalter bis zum Anfang der Bäderhotels im 19. Jahrhundert zurückdatieren. In Bath und Baden-Baden kann diese Geschichte heute nicht mehr nachgewiesen werden. «Baden ist ein Meilenstein für die Forschung», ist Schaer überzeugt.

Bis heute sieht man die Archäologin und Geschäftsführerin der Firma Archaeokontor GmbH trotz ihres neuen Jobs beim Kanton Bern noch immer oft im Bäderquartier. Es gilt, die letzten Ausgrabungen zu leiten. «Uns Archäologen sagt man ja immer nach, wir würden die Bauarbeiten behindern. Im Bäderquartier waren wir aber wegen der vielen Verzögerungen immer die Ersten, die den Platz räumten», bekundet sie und schmunzelt. Am liebsten spricht Andrea Schaer über ihre Arbeit. Privates zu erzählen, findet die passionierte Berufsfrau völlig uninteressant. Zum Beispiel, dass sie nicht verheiratet ist und gerne die Schweizer Berge besteigt. Oder, wie sehr sie an ihren sechs Meerschweinchen hängt. «Vier davon stammen aus der Region Baden», gibt sie dann doch noch preis und strahlt dabei.