Wettingen
Betrogen: Seit fünf Jahren kämpfen italienische Arbeiter um ihr Rentengeld

Eingewanderte Italiener arbeiteten jahrelang in der Schweiz auf dem Bau und in der Industrie – doch jetzt ist ihr Rentengeld weg. Es geht um 20 Millionen Franken. Trotz Bundesgerichtsurteil ist noch nicht sicher, dass sie noch entschädigt werden.

Dieter Minder
Drucken
Marco Tommasinis Vater erhielt vor fünf Jahren plötzlich keine Rente mehr.

Marco Tommasinis Vater erhielt vor fünf Jahren plötzlich keine Rente mehr.

Nach dem 2. Weltkrieg mangelte es in der Schweiz an Arbeitskräften. In grossem Masse wurden Italiener rekrutiert. Diese waren vor allem im Baugewerbe und in der Industrie tätig, führten also handwerkliche Berufe aus. Zudem waren die meisten der deutschen Sprache nicht mächtig. Um sie im administrativen Bereich zu unterstützten wurden die Patronati (siehe Box) gegründet, die haupt- und nebenamtliche Betreuer engagierten.

Patronato Inca

Als Beratungsstellen wurden die Patronati ins Leben gerufen. Darunter das der Gewerkschaft CGIL (Confederazione Generale Italiana de Lavoro) nahestehende Inca. In der Schweiz arbeitete dieses mit der Gewerkschaft Unia zusammen. So fanden die Beratungen in Baden in deren Büros statt. Finanziert werden die Patronati durch den italienischen Staat und stehen unter Aufsicht des Arbeitsministeriums. (DM)

Ein Berater, der sich offensichtlich besonders für die Italiener einsetzte, war Antonio G. vom Patronato Inca. Er beriet seine Klienten nicht nur in Rentenfragen, er gab ihnen auch konkrete Anlageempfehlungen ab. «Für viele Italiener wurden die Berater zu Vertrauensleuten», sagt Marco Tommasini aus Wettingen. Der erwachsene Sohn eines in die Schweiz eingewanderten italienischen Ehepaares präsidiert das Comitato Difesa Famiglie (Komitee zur Verteidigung der Familien, CDF).

Vor zirka fünf Jahren erhielt Tommasini Vater plötzlich keine Rente mehr. Auf Nachfrage bei der Versicherung wurde ihm mitgeteilt, dass sein Rentenkapital abgezogen worden sei. Darauf machte sich sein Sohn Marco Tommasini auf die Suche nach dem Geld.

In derselben Zeit meldeten sich weitere italienische Rentner, weil ihre Pensionskassen die Zahlungen ebenfalls einstellten. Deren Kinder – die meisten seit langem Schweizer – machten sich gemeinsam auf die Suche nach den Rentenkapitalien.

Bei den Abklärungen stellten sie fest, dass alle Betroffenen durch Antonio G. Berater des Patronato Inca betreut worden waren. Dieser hatte die Pensionskassengelder auf eigene Konti überweisen lassen. Dabei benützte er Blankovollmachten der Geschädigten und gefälschte Zahlungsaufträge.

Versicherung musste zahlen

«Wir schätzen, dass rund 20 Millionen Franken Rentenkapital von rund 50 Personen verschwunden sind», sagt Tommasini. Der Kampf um das Geld gestaltete sich jedoch sehr schwierig. Vom italienischen Staat erhielten die Geschädigten keine Unterstützung. Die mit dem Patronato zusammenarbeitende schweizerische Gewerkschaft Unia gewährte lediglich ihren Mitgliedern Rechtsbeistand.

Das CDF lancierte darauf mehrere Prozesse. Es verklagte die Versicherung, die das Rentenkapital von Roberto Tommasini ohne dessen Wissen ausbezahlt hatte. Schliesslich entschied das Bundesgericht: Die Versicherung musste das Rentenkapital an Roberto Tommasini bezahlen, da sie bei der Überweisung die Sorgfaltspflicht verletzt hatte. «Dies war ein Musterprozess, auf dem wir aufbauen», sagt Tommasini.

Nun hat das Bundesgericht ein weiteres Urteil gefällt und dieses ist klar: Das Patronato Inca haftet für die Taten seines ehemaligen Angestellten Antonio G., und muss die Betrogenen entschädigen. «Dieses Urteil ist für uns ein Erfolg», sagt Tommasini. Trotzdem nützt es den Geschädigten sehr wenig, denn das Inca wird liquidiert, die Verantwortlichen haben Konkurs angemeldet. «Das Patronato hat sich aus der Verantwortung gezogen.»

Unerwartet öffnete sich für das CDF eine neue Möglichkeit. «Ich wurde zu einer Fernsehsendung von RAI 3 eingeladen und durfte dort unser Anliegen vertreten.» Darauf habe ihm ein italienischer Rechtsprofessor mitgeteilt, dass seiner Ansicht nach die italienische Mutterorganisation Inca zur Rechenschaft gezogen werden könne. Deshalb hat das CDF Kontakte in Italien aufgenommen.

«Das Patronato Inca war ein Verein und deshalb haftet nur das Vereinsvermögen», sagt Rita Schiavi, Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft Unia. Während ihrer Zeit als Präsidentin des Inca hatte Antonio G. einen grossen Teil seiner Taten begangen.

Als Präsidentin hatte sie 2009 eine erste Strafanzeige gegen Antonio G. eingereicht. Schiavi ist überzeugt: «Beim Inca in der Schweiz ist im Konkursverfahren nichts zu holen.» Der Verein habe vom italienischen Staat nur Geld für Löhne und Miete erhalten. «Die Beratung war gratis.»

Strafverfahren im Kanton Zürich

Gegen Antonio G. läuft im Kanton Zürich eine Strafuntersuchung. «Das Einziehungsverfahren wird demnächst abgeschlossen», sagt Staatsanwalt Hanno Wieser. Er leitet das Strafverfahren. Mit dem Einziehungsverfahren werden Gelder und Wertgegenstände sichergestellt. Konkrete Angaben kann er noch nicht machen: «Die Deliktssumme ist weiterhin Gegenstand der Untersuchung.» Ebenso kann er nicht sagen, wie lange diese noch dauern wird: «Ich hoffe, sie sobald wie möglich abschliessen zu können.»

Antonio G. hat seine Taten in einem Brief an die Geschädigten zugegeben und diese um Entschuldigung gebeten. Er befindet sich aber auf freiem Fuss.