Bezirksgericht Baden
Gebrochene Lendenwirbel: Velofahrer missachtet Vortritt für Lieferwagen – doch ist der Chauffeur schuld am Unfall?

An einer Kreuzung in Spreitenbach kommt es zur Kollision zwischen einem Lieferwagen und Fahrrad. Der Chauffeur wehrte sich gegen die Verurteilung.

Rosmarie Mehlin
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An dieser Kreuzung in Spreitenbach kam es zur Kollision zwischen Velofahrer und Lieferwagen.

An dieser Kreuzung in Spreitenbach kam es zur Kollision zwischen Velofahrer und Lieferwagen.

Sandra Ardizzone

«Haifischzähne» sind auf der Kreuzung Zentrums-/Untere Dorfstrasse in Spreitenbach stark vertreten: Zusammen mit dem rotumrandeten weissen Dreieck heben sie auf drei der vier Einmündern das Vortrittsrecht auf. Dies hat jüngst an einer Gerichtsverhandlung vor Einzelrichterin Angela Eckert in Baden zwei Anwälte zu ausführlichen Plädoyers veranlasst.

Der eine vertrat den 32-jährigen Besmir (alle Namen geändert), welcher der fahrlässigen Körperverletzung beschuldigt war. Der andere das Opfer, den 53-jährigen Malik.

Er sei, sagte Malik, an jenem Montagmorgen um zirka 6.45 Uhr auf dem Velo unterwegs zur Arbeit gewesen, habe eine orange Jacke getragen und hatte das Licht am Velo eingeschaltet gehabt. Er sei mit ungefähr 20 Stundenkilometern auf die «Haifischzähne» zugefahren. Durch Büsche und einen Baum sei die Sicht dort zwar etwas eingeschränkt, doch die Kreuzung sei leer gewesen.

Gewisse Rückenschmerzen

«Ich habe lediglich in zirka 30 Metern Entfernung auf der von rechts einmündenden, ebenfalls nicht vortrittsberechtigten Strasse ein Auto gesehen.» Sekunden später lag der Velofahrer am Boden; ein Lieferwagen mit Besmir am Steuer hatte ihn erfasst. Malik hatte mit zwei gebrochenen Lendenwirbeln und einer Fraktur der Handwurzel ins Spital überführt werden müssen. Die Brüche sind inzwischen verheilt. Zurückgeblieben sind, so Malik vor Gericht, gewisse Rückenschmerzen.

Per Strafbefehl war Besmir wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 2400 Franken und 400 Franken Busse verurteilt worden. Dagegen hatte der zweifache Familienvater Einsprache erhoben.

Sein Anwalt forderte einen Freispruch: Er wolle das Geschehene und Maliks Verletzungen keineswegs herunterspielen, aber der Staatsanwalt liege mit seiner Behauptung, Besmir habe das Vortrittsrecht missachtet, falsch. Sein Mandant habe bei den «Haifischzähnen» zuerst nach links geblickt, wo die Sicht durch das Grünzeug auch für ihn eingeschränkt war, dann nach rechts und habe kein Fahrzeug gesehen.

Daraufhin sei er mit zirka 30 Stundenkilometern über die Kreuzung gefahren, was eine der Situation angepasste Geschwindigkeit gewesen sei.

Nach akribischen Analysen der Verhältnisse von Geschwindigkeiten und zurückgelegten Distanzen der beiden involvierten Fahrzeuge schloss der Verteidiger sein Plädoyer mit dem Fazit: «Es ist irrelevant, dass mein Mandant nicht vortrittsberechtigt war. Was zählt, ist die Tatsache, dass der Velofahrer beim Zusammenstoss effektiv von links gekommen war, der Lieferwagen hingegen von rechts.»

Richterin Ecker schloss sich in ihrem Urteil dieser Argumentation an und sprach Besmir von Schuld und Strafe frei:

«Es war zwar eine vertrackte Situation, aber Besmir konnte darauf vertrauen, dass der Velofahrer den Rechtsvortritt auf der Kreuzung nicht missachtet.»