Bezirksgericht Baden
Ohrfeige gegen Nachbarin kommt Rentnerin teuer zu stehen: «Sie sind zu weit gegangen»

Wegen einer Tätlichkeit musste sich eine 71-Jährige vor dem Bezirksgericht Baden verantworten. Ihre Hoffnung erfüllte sich nicht.

Rosmarie Mehlin
Drucken

Frau Grau (alle Namen geändert) hatte Frau Schwarz eine Ohrfeige verpasst. Als Auskunftsperson vor Gericht betont Frau Schwarz, es seien zwei Ohrfeigen gewesen: «Eine auf die linke Backe und eine auf die Stirn.» Frau Grau protestiert: «Es war ganz sicher nur eine und überhaupt nur so ein Klaps.»

Zugetragen hatte sich das im wahrsten Sinne des Wortes handgreifliche Renkontre im vergangenen September in einem Mehrfamilienhaus, wo seit Jahren ein angespanntes Verhältnis zwischen Frau Grau und ihrer Nachbarin Roth herrschte. «Die Lärmbelästigungen durch sie waren unerträglich. Sie hat ständig enorm laut Musik gehört – so Techno-Zeugs – und alle meine Interventionen haben nichts genützt. Frau Roth war einfach nicht kommunikativ.»

Die Rentnerin musste sich vor dem Bezirksgericht Baden verantworten.

Die Rentnerin musste sich vor dem Bezirksgericht Baden verantworten.

Bild: Chris Iseli

Das Fass zum Überlaufen gebracht habe Frau Roth mit der Anschaffung eines Hundes. «Eines Abends, sie war wohl im Ausgang, hat der Hund fünf Stunden durchgebellt. Da niemand im Haus einen Schlüssel zur Wohnung Roth hatte, bin ich um 22 Uhr zu deren Freundin Schwarz und habe sie um die Natel-Nummer von Frau Roth gebeten, aber sie hat sie mir nicht gegeben.» Sichtlich aufgebracht zieht die schlanke 71-jährige Beschuldigte ständig die Maske unter die Nase. «Ich hab dann Frau Roth in einem Brief mein Herz ausgeschüttet und eine Entschuldigung erwarte, aber es kam nichts.»

Als die Damen Schwarz und Roth an besagtem Nachmittag durch die Haustür traten, wollte Frau Grau Frau Roth zur Rede stellen, aber die beiden gingen wortlos in Roths Wohnung. Als Frau Grau dort klingelte, öffnete Frau Schwarz. Frau Grau erzählt:

«Sie hat mich angeschrien, ich solle sie endlich in Ruhe lassen, ich hätte sie lange genug tyrannisiert. Über diese Attacke bin ich so erschrocken, dass ich Frau Schwarz diesen Klaps gab.»

Es sei halt eskaliert, was sich jahrelang in ihr angestaut habe.

Frau Schwarz ging anderntags zum Arzt, der auf Wange und Stirn Rötungen feststellte. Danach machte sie Strafanzeige bei der Polizei. Vier Monate später verurteilte der Staatsanwalt Frau Grau wegen Tätlichkeit per Strafbefehl zu 300 Franken Busse und stellte obendrein 400 Franken Gebühr in Rechnung.

Frau Graus Antwort auf die Frage von Einzelrichterin Gabriella Fehr, warum sie Einsprache erhoben habe, ist lapidar: «Mit den 300 Franken war ich gar nicht einverstanden.» Der nette Polizist, der sie befragte, habe gesagt, so ein Klaps sei etwa so wie Telefonieren am Steuer, auf was eine Busse von 100 Franken stehe. «Wie kommt denn der Staatsanwalt auf 300 Franken?»

Ohrfeige gilt als Tätlichkeit

Mit Engelsgeduld klärt Richterin Fehr Frau Grau darüber auf, dass eine Ohrfeige laut Strafgesetzbuch eine Tätlichkeit ist und deshalb nicht – wie ein Strassenverkehrsvergehen – mit einer einfachen Ordnungsbusse geahndet wird. Hätte die Beschuldigte massiver zugeschlagen, hätte sie eine einfache Körperverletzung begangen. Fehr:

«Doch auch mit dieser Ohrfeige sind sie klar zu weit gegangen und die 300 Franken sind denn auch am unteren Limit des Bussenkatalogs.»

Sodann fragt Gabriella Fehr, ob Frau Grau die Einsprache unter diesen Voraussetzungen nicht zurückziehen wolle. «Das würde bedeuten, dass wir Ihnen nur 250 Franken statt eine ordentliche Gerichtsgebühr von 800 Franken verrechnen würden.»

Nach kurzem Überlegen, begleitet von einigen Seufzern, willigt die Rentnerin ein. So kostet sie der Klaps nun 950 Franken statt 1500 Franken. Übrigens hatte Frau Grau am Tag nach dem Vorfall ihre Wohnung gekündigt. Jetzt lebt sie weit entfernt im Frieden mit sich und – wie sie betont – den neuen Nachbarn.