Bezirksgericht Baden
Polizist nach Einsatz wegen Nachbarschaftsstreit auf der Anklagebank – doch es bleiben viele Fragen offen

Nach einem nächtlichen Einsatz musste sich ein Beamter am Montag in Baden vor dem Einzelrichter verantworten. Die Aussagen der Parteien gingen deutlich auseinander.

Rosmarie Mehlin
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Zwischen einem Polizisten der Regionalpolizei Wettingen-Limmattal und einem Mann kam es während eines Polizeieinsatzes zum Streit. Dabei verletzte der Polizist den Mann.

TeleM1

Am Geschehen beteiligt gewesen waren ein Vermieter, ein Mieter mit Untermieter sowie die Patrouille einer Regionalpolizei. Ein Ende fand das Ganze in Baden vor Gericht. Dort sassen vor Einzelrichter Patrick Jegge der 40-jährige Polizeibeamte Boner (alle Namen geändert), beschuldigt der einfachen, eventuell fahrlässigen Körperverletzung, und als Privatkläger Mehrfamilienhaus-Besitzer Schmid (50). Dieser, von Beruf Handwerker, hatte öfters Probleme wegen Lärmbelästigung mit den Bewohnern einer seiner Wohnungen.

An jenem Dienstag im Mai 2020 war der Zwist eskaliert und Schmid hatte gegen ein Uhr morgens die Polizei gerufen. Vor dem Haus hatte er den eintreffenden Beamten Boner und Keller geschildert, besagte Mieter hätten ihn tätlich angegriffen. Während Schmid danach in seine Wohnung ging, suchten die Beamten die Mieter auf.

Dort präsentierte eine Frau ihnen ihr kaputtes Handy mit den Worten, das sei das Werk von Schmid – er habe es auf den Boden geschleudert. Daraufhin dislozierten Boner und Keller in die Wohnung des Vermieters und taten ihm kund, dass sie ihn nun auch als Beschuldigten befragen würden, worauf Schmid ausrastete. Ein auf dem Fuss folgender Atemluft-Test ergab 1,5 Promille.

Vor Gericht warf Richter Jegge dem Kläger vor, dass er – laut den Ermittlungen – die Polizisten rassistisch beschimpft und Boner mehrfach an die Uniform gefasst habe. Schmid stellte solches dezidiert in Abrede und schilderte ausführlich und dramatisch seine Sicht der Dinge.

Polizist Boner stellt den Sturz von Schmid nicht in Abrede

Er sei anständig gewesen, habe zu Boner bloss gesagt, er sei ein schlechter Polizist. Dies nur weil dieser sich absolut nicht für eine schriftliche Abmahnung von ihm gegenüber den renitenten Mietern interessiert habe.

«Er aber hat mich heftig gestossen und als ich hingefallen war, ist er mit seinem ganzen Gewicht auf mir gelandet.»

Dabei sei, so Schmid, sein Ellbogen so verletzt worden, dass er einen Monat arbeitsunfähig war und noch heute bei der Arbeit immer wieder Schmerzen verspüre. Gegen 11 Uhr vormittags war Schmid in den Notfall vom Kantonsspital Baden gefahren, wo in seinem rechten Ellbogen eine Gewebequetschung, eine Knochenmarkschwellung sowie ein abgebrochenes Knorpelstück festgestellt wurden.

Polizist Boner stellte den Sturz von Schmid nicht in Abrede. «Nachdem er mir immer wieder an die linke Schulter gefasst hat, hab ich ihn weggestossen, worauf er auf den Po fiel. Nachdem er sich aufgerappelt hatte, attackierte er uns sehr aggressiv, worauf Kollege Keller ihn mit dem Escort-Griff an Handgelenk und Ellbogen fixierte und ich ihn an den Waden festhielt», schilderte der Beschuldigte.

Schmids Anwalt betonte in seinem Plädoyer, dass Boners Aussagen – im Gegensatz zu jenen seines Mandanten – überhaupt nicht glaubwürdig seien. «Unter anderem decken sie sich absolut nicht mit den Aussagen von zwei Zeugen – Schmids Freundin und ein Nachbar, der das Geschehen durch den Türspion beobachtet hatte.» Boner sei der einfachen Körperverletzung schuldig zu sprechen und gemäss Antrag des Staatsanwaltes zu einer bedingten Geldstrafe von 9900 Franken sowie 1800 Franken Busse zu verurteilen.

Es bleiben viele Frage offen

Boners Verteidiger forderte einen Freispruch. «Fälle, in die Polizisten involviert sind, müssen genaustens untersucht werden, um vor Gericht einem allfälligen Vorwurf ‹Säuhäfeli, Säudeckeli› keine Chance zu geben.» Im Fall seines Mandanten müsse der Grundsatz in dubio pro reo allein schon deshalb greifen, da die Entstehung der Ellbogen-Verletzungen weder zeitlich noch ursächlich genau zugeordnet werden können, wie in einem einen Monat nach dem Vorfall verfassten Gutachten festgehalten sei. «Auch bestehen an den Aussagen von Schmid erhebliche Zweifel. So verstrickte er sich immer wieder in Widersprüche und war lange ausserstande sich festzulegen, ob Boner oder Keller ihm die Verletzung zugefügt haben sollen.»

Patrick Jegge sprach den Beschuldigten von Schuld und Strafe frei: «Auch für mich ist in diesem Fall vieles sonderbar. So bleibt die Frage offen, ob der Sachverhalt überhaupt rechtsgenüglich erstellt und der Nachweis nachgewiesen ist, dass der Kläger die Verletzung tatsächlich in jener Nacht erlitten hatte.»