Bezirksgericht Baden
«Sie haben sich entschieden, als Verbrecher zu leben»: 31-Jähriger wird erneut des Landes verwiesen

Der Tunesier war vor 18 Jahren im Rahmen eines Familiennachzugs in die Schweiz gekommen. Seit Jugendjahren schlägt er sich mit Gaunereien durchs Leben. 2015 wurde er ausgeschafft, kehrte aber illegal wieder zurück. Vor Gericht erlebte er nun ein Déjà-vu.

Claudia Laube 1 Kommentar
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Der Angeklagte kam direkt vom Gefängnis ins Bezirksgericht Baden.

Der Angeklagte kam direkt vom Gefängnis ins Bezirksgericht Baden.

Chris Iseli

Der 31-jährige Tunesier Issam (Name geändert), eher klein und schmal, hat es faustdick hinter den Ohren: Die mit mehr als 20 Seiten sehr ausführliche Anklageschrift liest sich wie ein schlechtes Drehbuch über einen Menschen, der sich mit Gaunereien und Betrügereien durchs Leben hangelt. 14 Delikte werden ihm vorgeworfen, alle nickt er mit einem simplen Ja ab, als er im Bezirksgericht Baden von Gerichtspräsident Christian Bolleter nach jedem einzelnen Punkt gefragt wird.

Auf insgesamt 342'500 Franken beläuft sich die Deliktsumme im ersten Anklagepunkt «gewerbsmässiger Diebstahl». Issam beging innerhalb von sechs Monaten 23 Diebstähle an zwölf Orten in den Kantonen Aargau und Zürich. Mehrmals klaute er Autos und verkaufte sie weiter, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Er nutzte geklaute Fahrzeugausweise und Namen von anderen Personen.

Zum am häufigsten Geschädigten gehört das Carsharing-Unternehmen Mobility unter dem zweiten Anklagepunkt «gewerbsmässiger Betrug». Issam lieh sich die Autos, indem er auch hier andere Identitäten vorgaukelte. Er ging dabei «listenreich» vor, wie es in der Anklageschrift heisst.

Für schuldig bekannte sich Issam auch der groben Verletzung von Verkehrsregeln, als er Ende 2018 mit einem geklauten Auto vor der Polizei auf der Surbtalerstrasse über Tegerfelden bis Lengnau flüchtete. Dort hatte eine Patrouille noch mit einer Nagelsperre versucht, ihn aufzuhalten. Trotz platter Reifen fuhr er weiter, liess das Auto im Dorf stehen und floh zu Fuss weiter.

Auf der Surbtalerstrasse von Tegerfelden über Endingen bis Lengnau lieferte sich Issam Ende 2018 mit geklautem Auto eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Auch eine Nagelsperre konnte ihn nicht stoppen.

Auf der Surbtalerstrasse von Tegerfelden über Endingen bis Lengnau lieferte sich Issam Ende 2018 mit geklautem Auto eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Auch eine Nagelsperre konnte ihn nicht stoppen.

Bild: Sandra Ardizzone

«Ich war immer auf der Flucht vor der Polizei», erklärte Issam vor Gericht. Er habe gewusst, dass er gesucht werde «und ich irgendwann dafür bezahlen muss». Ende Mai 2019 war es dann so weit: Der sechste Punkt in der Anklageschrift, eine einfache Körperverletzung, beschreibt seine Verhaftung. Er hatte sich heftig gewehrt und dabei einen Polizisten mehrmals gebissen. Seither sitzt er im Gefängnis.

Im Grunde hätte sich Issam gar nicht in der Schweiz aufhalten dürfen. 2015 war er nach Tunesien ausgeschafft worden. Zwölf Jahre nachdem er im Rahmen eines Familiennachzugs in die Schweiz gekommen war, weil sein Vater hier politisches Asyl erhalten hatte. Doch mit dem Sohn gab es offensichtlich von Beginn an Probleme, Issam landete – auf eigenen Wunsch, wie er im Gerichtssaal sagte – im Jugendheim, wo er auch eine Ausbildung zum Maler begann.

Bereits da legte er eine hohe kriminelle Energie an den Tag: «Ich habe mich immer im falschen Kollegenkreis bewegt», so Issam, aber da sei er selber schuld. Auf die Frage von Richter Christian Bolleter, ob er jemals auf legale Art Geld verdient habe, konnte er nur auf den Lohn verweisen, den er damals im Jugendheim verdiente.

Schulden hätten ihn in Bredouille gebracht

Nach seiner Ausweisung versuchte er in Tunesien Fuss zu fassen, habe sich aber nicht zurechtgefunden. Nicht nur, weil er dort ausser seinem Grossvater niemanden kannte, wie er an der Verhandlung sagte. Er fand auch keinen Job. Um irgendwie durchzukommen, habe er begonnen, Schulden zu machen, in der Hoffnung, diese eines Tages zurückzahlen zu können.

Im Jahr 2018 kehrte er illegal zu seiner Familie in die Schweiz zurück. Unter Druck, die Schulden zu begleichen, habe er sich nicht anders zu helfen gewusst, als dort weiterzumachen, wo er 2015 in der Schweiz aufgehört hat. «Sie haben sich entschieden, als Verbrecher zu leben», fand Richter Bolleter deutliche Worte.

Issam war sofort geständig

Und nun kam es vor dem Bezirksgericht zu einer Art Déjà-vu: Der aus dem Land Verwiesene wurde erneut des Landes verwiesen. Wiederum wegen ähnlichen Delikten wie beim ersten Mal. Bis 2025 hätte er die Schweiz nicht betreten dürfen. Dass er sich nicht daran hielt, das wurde an der Verhandlung am Donnerstag kaum thematisiert.

Dies wohl auch, weil es sich hier um ein abgekürztes Verfahren handelte. In einem solchen findet vor Gericht kein Beweisverfahren statt und der Angeklagte kann auch nicht mehr gegen ein gefälltes Urteil vorgehen, auf das sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Vorfeld geeinigt hatten: Gefordert waren fünf Jahre Haft und 15 Jahre Landesverweis, diesmal ausgeweitet auf den ganzen Schengen-Raum. Das Gericht musste dem nur noch zustimmen, was es – nicht überraschend – am Ende auch tat.

Issams amtlicher Verteidiger hatte denn auch nicht viel mehr zu sagen als:

«Man muss meinem Klienten zugutehalten, dass er von Beginn weg geständig war und reinen Tisch machte.»

Der Aufwand wäre um ein vielfaches «grösser, teurer und schwieriger» gewesen, wenn Issam nicht gewusst hätte, dass er etwas falsch gemacht habe. Er wird nun noch den Rest seiner Strafe von rund 2 1/2 Jahren absitzen und danach das Land erneut verlassen müssen.

Das Bargeld, das man bei der Verhaftung bei ihm fand, gerade einmal 26 Franken, wird an die Verfahrenskosten gegeben. Diese belaufen sich auf etwa 18'000 Franken. Hinzukommen werden aber unweigerlich auch noch eine Reihe von Zivilforderungen der in der Anklageschrift aufgeführten Geschädigten, 20 an der Zahl.

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