Die «Swiss Blues Legends» zelebrierten emotionsgeladene, kontrastreiche Kunst.
Vor 45 Jahren, beim allerersten «Freeway 75»-Konzert im Jugendhaus Wettingen, hätte sie noch nicht geahnt, dass der Blues später ihr Leben entscheidend prägen würde – erklärte Festivaldirektorin Susanne Slavicek bei der Eröffnungsrede. Baden ist inzwischen zu einem der helvetischen Hauptorte des Blues geworden; dank ihrem bis über die Landesgrenzen hinaus renommierten Festival und regelmässigen weiteren vom Bluusclub Baden organisierten Konzerten – und dank dem glücklichen Umstand, dass die Geburtsstunde des Schweizer Blues damals tatsächlich quasi vor der Haustür stattfand.
Diese Kombination versprach Magisches. 45 Jahre nach ihrer Gründung kommt die Band rund um Dinu Logoz und Robert «Goofy» Egloff wieder zusammen und lässt Freeway 75 neu aufleben, gemeinsam mit prominenten Bluesmusikern der Schweiz – zu Hause, auf der Hauptbühne des grossen Bluesfestivals. Als Schweizer Ableger der berühmten «American Blues Legends» war die Idee ursprünglich für die Badenfahrt geplant; dort wird sie im August dieses Jahres auch stattfinden, doch Susanne Slavicek liess es sich nicht nehmen, die Uraufführung als Festivalauftakt zu initiieren. Ein glücklicher Entscheid, denn der Abend hielt, was er versprach.
Das typische Setting für derartige Allstar-Livekonzerte: Die Hausband legt den Sound-Teppich, die Special Guests kommen und gehen. Doch das war keine Routine in Baden, es war eine geballte Ladung – mit einem Minimum an Vorbereitung, einem Maximum an schweisstreibender, spontaner und dennoch souveräner Virtuosität. Die Hausband war das Geld allein schon wert: «LL & The Shuffle Kings» beherrschen die Kunst des authentischen Shuffle-Rhythmus’ perfekt; Bluesharp-Pionier Dinu Logoz, Schlagzeuger Charly Weibel, Bassist René Eberhard und Pianist Marcel Keckeis leisteten Schwerstarbeit. Bandleader Rolf «LL» Lüthi verlor in keinem Moment die Fäden und spielte während dem ganzen Abend beseelt, geschmackvoll und energiegeladen Gitarre.
Entsprechend inspiriert waren die Stargäste, die irgendwie fast alle miteinander verbandelt sind und in der helvetischen Bluesszene seit Jahren eine Rolle spielen. Jede und jeder wurde vom Moderatoren-Gespann Logoz/Egloff mit einer Anekdote aus früheren Zeiten begrüsst – und bedankte sich mit drei Songs. Die Qualität des an sich etwas überlangen Abends lag in der hohen Dynamik, in der Vielfalt der Kontraste. Während insgesamt drei Sets glich kein Act dem andern. Chris Lange, der grosse Schweizer Bluesgitarren-Pionier (er war 1961 noch vor Eric Clapton und Co. ein europäischer Wegbereiter) spielte 56 Jahre später sitzend eine mitreissende Slidegitarren-Version von Chuck Berrys «Deep Feeling», Michael Daniels versprühte als einziger schwarzer Sänger gehörig viel Reggae-Feeling, die Bläsersektion Thunder Horns unter der Leitung von Mike Maurer brachte überzeugendes Memphis-Feeling, Freeway 75 schwelgten meisterhaft in Erinnerungen und überraschten mit dem Unikat einer crazy gespielten «Blues-Blockflöte». Cla Nett (Gründer der legendären Lazy Poker Blues Band) begeisterte mit abgehangenem Dirty-Blues, Swiss- Blues-Award-Gewinner Walter Baumgartner mit geschmeidigen Songs und edler Bluesharp-Grösse, Lokalmatador Patrik Schneider mit feuriger Saitenkunst und Boogiepiano-Legende Ray Fein mit humorvollem Party-Groove.
«Doch was wäre der Blues ohne Frauen, was wäre das Leben ohne Frauen?» – sinnierten Logoz und Egloff genüsslich. Die beiden einzigen Frauen auf der Bühne lieferten postwendend die Antwort, sie waren der gefühlsmässige Höhepunkt des Abends: Beim unglaublich dynamischen Gesangsfeuerwerk der aus der Ostschweiz stammenden Bluesikone Yvonne Moore fragte man sich erregt «warum ist die eigentlich kein Weltstar?!» – und beim gospelgeprägten Gefühlsgewitter der preisgekrönten Zürcher Jazzsängerin Christina Jaccard hatte man nicht die geringste Lust, von dieser Wolke herunterzukommen. Weltklasse, die sich zum krönenden Schluss des Konzertes – die Ladys waren bisher nie gemeinsam auf der Bühne – noch in einem denkwürdigen Duett vereinte: «I just wanna make love to you» von Willie Dixon.