Trotz wachsenden Schuldenbergs: Das Parlament sagt an seiner Sitzung Ja zu einem höheren Minus bei gleichbleibendem Steuerfuss von 95 Prozent. Grösste Verliererin des Abends ist das Personal der Gemeindebibliothek.
«Corona 2.0-Budget», «Sparflammenbudget», «Budget-Zitrone» – an der Einwohnerratssitzung vom Donnerstagabend wurde nicht mit kreativen Bezeichnungen für den vom Gemeinderat vorgelegten Voranschlag 2022 mit gleichbleibendem Steuerfuss von 95 Prozent gespart.
Das Parlament sparte auch sonst nur wenig. Die Metapher der ausgepressten Zitrone zog sich wie ein roter Faden durch die knapp vierstündige Budgetdiskussion. Denn trotz «massivster Sparanstrengungen und konsequenter Verzichtsplanung» hatte der Gemeinderat ein negatives Budget-Ergebnis mit einem Minus von 3,2 Millionen Franken ausgewiesen. Ein «Dürre-Budget» nannte es Vizeammann und Finanzvorsteher Markus Maibach (SP) im Vorfeld.
Die Detailberatung führte dazu, dass sich die budgetierten Ausgaben noch einmal erhöhten: 119'000 Franken kamen zusätzlich hinzu. Die Bevölkerung wird an der Urne über ein Budget mit einem operativen Ergebnis von minus 3,37 Millionen Franken abstimmen. Dies ist aber vor allem auf Anträge der Finanzkommission zurückzuführen, die auf Beiträge hinwies, die vergessen gingen – darunter derjenige von 55'000 Franken für die Integration des Klosters Wettingen ins Museum Aargau.
Die Kürzungsanträge von GLP und SVP scheiterten allesamt. Nur einer von der FDP fand überraschenderweise eine grosse Mehrheit im Rat, ganz zum Missfallen von Gemeinderat Philippe Rey (parteilos). So beantragte die Partei, die Lohnsumme für die Gemeindebibliothek (376'224 Franken für 400 Stellenprozente) um fünf Prozent, also um zirka 19'000 Franken zu senken. Rey rief mit einem dringlichen Appell dazu auf, nicht genau an diesem Ort zu sparen, kämpfte aber vergebens: 30 Personen stimmten dem Antrag zu, 16 dagegen.
Leo Scherer von WettiGrüen stand deshalb noch während der Auszählung des eindeutigen Verdikts entnervt ans Rednerpult: «Das zeigt, wie nötig unsere Initiative Lebendiges Wettingen ist, weil dort genau Dinge wie die Bibliothek-Finanzen gesichert würden, damit solche Streichspiele nicht mehr möglich sind.»
SP-Co-Fraktionspräsidentin Mia Gujer stellte bereits eingangs der Diskussion fest: «Nach wie vor werden Leistungen in Kultur, Sport und Bildung abgebaut, nach wie vor werden die Leuchttürme von Wettingen einer nach dem anderen abgerissen.» Man müsse jetzt handeln: «Warum noch ein Jahr warten, wenn eh klar ist, dass beim nächsten Budget der Steuerfuss erhöht werden muss?»
Deshalb beantragte ihre Fraktion SP/WettiGrüen (zehn Sitze) für das nächste Jahr eine Steuerfusserhöhung um 5 auf 100 Prozent. Das blieb aber chancenlos. Nur die Fraktion EVP/Forum5430 (fünf Sitze) stand dahinter, die anderen anwesenden 31 Parlamentsmitglieder stimmten dagegen.
«Wir wollen ein ehrliches Budget mit einer sofortigen Steuerfusserhöhung», hatte EVP-Einwohnerrat Lukas Rechsteiner zuvor erklärt. Ansonsten bleibe nur die Hoffnung, dass tiefrote Zahlen den Druck erhöhen, damit es wenigstens 2023 klappt. Bei den vorliegenden Sparanträgen gehe es nur ums «weitere Auspressen der viel zitierten Zitrone und nicht um substanzielle Einsparungen».
Auch FDP-Fraktionspräsidentin Judith Gähler erklärte im Namen ihrer Partei, dass sie den Eindruck hätten, die Zitrone sei ausgepresst, weil kein Handlungsspielraum bei den hohen gebundenen Kosten bestehe: «Nichtsdestotrotz vermuten wir, dass trotz des scheinbar hohen Sparwillens bei diversen Kässeli der eine oder andere Franken gespart werden könne.» Was die erfolgreiche Kürzung bei der Bibliothek zeigte. Die Mitte CVP sprach ebenso von der sprichwörtlichen Zitrone, die beim Budget 2022 ausgepresst worden sei, was auch die wenigen Anträge aus der Fiko gezeigt hätten. Dennoch standen die beiden Parteien klar gegen eine Steuerfusserhöhung, wie auch GLP und SVP.
Die Zitronenmetapher nutzte SVP-Fraktionspräsident Martin Fricker als Steilvorlage: «Wenn ich die Fraktionsberichte lese, könnten wir eigentlich ein Geschäft auftun und Zitronen verkaufen», sagte er.
«So viele von diesen Zitrusfrüchten benötigen wir offensichtlich jedes Jahr, damit sie ausgepresst werden können.»
Der «ausgelutschte» Zitronenvergleich werde aber nicht wahrer, wenn man ihn wiederhole. Die «Budget-Zitrone» sei nicht ausgepresst, es gebe viele Beispiele von unnötigen Ausgaben wie zum Beispiel den gemeindeeigenen Weinbau oder ein EW-Lädeli an bester Lage: «Wir könnten sehr wohl weniger ausgeben, wenn wir wollten, aber wir wollen nicht», schloss er sein Votum.