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400 bis 500 Frauen beim Badener Stadthaus, eine bunte Schar im Garten des Kulturhauses Odeon in Brugg und eine Grillade im Zurzacher Kurpark: Der Frauenstreik mobilisierte zahlreich.
«Unglaublich, die ganze Rathausgasse ist voll», sagte Connie Fauver, Co-Präsidentin von Frauen Aargau und Mitorganisatorin des Frauenstreiks in Baden. Schätzungsweise 400 bis 500 Frauen und Kinder – sowie auch einige Männer – waren gestern um 11 Uhr zum Badener Stadthaus gekommen, wo Stadtammann Markus Schneider das Manifest mit den zehn wichtigsten Forderungen entgegennahm.
Jede einzelne wurde vorgelesen (ohne Mikrofon, mit einer derart hohen Zahl an Streikenden war nicht gerechnet worden), gefolgt von Applaus, Jubel beziehungsweise Trillerpfeifen-Protest.
In Baden startete der Frauen-Streik um 7.30 Uhr mit Yoga auf der Wiese bei der reformierten Kirche; über 40 Frauen stärkten sich mit Sonnengrüssen für den Tag. Eine 61-Jährige sass daneben und schüttelte den Kopf: «Unglaublich, wie wenig sich in den vergangenen Jahrzehnten für uns Frauen gebessert hat.» Unverständnis äusserte sie über die «Ignoranz» der Frauen-Wandergruppe, die sie kurz zuvor beim Bahnhof gesehen hatte: «Wie kann man an einem solchen Tag wandern statt mitstreiken?»
Später versammelten sich Frauen in mehreren Quartieren sowie auch in Wettingen, um sich gemeinsam auf den Weg zum Badener Stadthaus zu machen. Fast jede nannte andere Gründe, warum sie an diesem Tag am Streik teilnahm. «Wir müssen zusammenhalten mit Frauen, die schlechter gestellt sind als wir», sagte Marianne Zehnder. «Und ich will darauf aufmerksam machen, wie viel Freiwilligenarbeit wir Frauen leisten. Ohne diese würde viel zusammenbrechen.» Alice Piazzesi, aufgewachsen in Mailand, erklärte: «Der Wiedereinstieg nach der Schwangerschaft wird den Frauen hier leichter gemacht.
In Italien aber ist die Betreuung der Kinder während der Schulzeit viel besser organisiert.» Bettina Meyer, die auf dem Familiengericht arbeitet, erklärte: «Ich bin nicht hier wegen mir, ich konnte immer schon machen, was ich wollte. Aber in meinem Arbeitsalltag begegne ich vielen Frauen, die alleine dastehen mit Kindern, aber keinen bezahlbaren Krippenplatz finden. Darum haben sie keine Zeit, um einer Arbeit nachzugehen, die so viel Lohn einbringt, dass sie davon leben können. Das ist ein grosses gesellschaftliches Problem.» Julia Kind marschierte mit, weil sie auf die wirtschaftliche Komponente der Benachteiligung von Frauen aufmerksam machen wollte. Sie wünscht sich, dass Frauen in höheren Gremien besser vertreten sind. Die 61-jährige Christine Etter sagte: «Für Frauen muss sich noch so viel verbessern. Aber ich will daran erinnern, dass wir auch schon einiges erreicht haben, beispielsweise das Frauenstimmrecht erkämpft haben. Ich hoffe, dass es immer wieder Vorkämpferinnen geben wird.»
In Brugg war im Gegensatz zum Grossaufmarsch in der Stadt Baden vor 12 Uhr noch wenig zu spüren vom Frauenstreiktag. Am Infostand vor dem Brunnen auf dem Neumarktplatz, wo die Organisatorinnen Flyer verteilten, plauderten drei Frauen. Nur wer ein paar Meter weiter ging, traf im Garten hinter dem Kulturhaus Odeon auf eine bunte Schar gut gelaunter Frauen und Männer. Die Einen sassen an den roten Tischen, die Anderen standen Schlange für die vegane Gratis-Streiksuppe, die von Lukas Huppenbauer und Ueli Basler mit frischen Zutaten zubereitet worden war.
So auch Bruggs Stadtammann Barbara Horlacher, die sich aus Frauensolidarität am Aktionstag beteiligte und den ganzen Tag nicht ins Stadthaus ging, am Abend aber den offiziellen Anlass am Schulschlussessen wahrnahm. «Ich selber habe zwar das Glück, dass ich in einer privilegierten Situation aufgewachsen bin. Dennoch finde ich es wichtig, dass man auf die nach wie vor aktuellen Themen wie beispielsweise Lohnungleichheit und Vorsorgelücken bei Frauen hinweist», hielt Horlacher fest.
Musikerinnen sorgten auf der kleinen Bühne für gemütliche Gartenfeststimmung, bevor das Manifest unter anderen von zwei Kindern, die sich selber dafür gemeldet hatten, vorgelesen wurde. Unter den Zuhörerinnen war auch Ursula Renold, Präsidentin des Fachhochschulrats, mit violettem Kleid, violetter Handtasche und violetten Schuhen. Die 58-Jährige bekleidet im Wissenschaftsbetrieb, der «hochgradig von Männern dominiert ist», mehrere Führungspositionen und weiss, dass es in Sachen Gleichstellung auf vielen Ebenen noch grossen Handlungsbedarf gibt. «Leider wird das Potenzial der Frauen in Führungspositionen noch immer stark unterschätzt», sagte Renold. Um in der Gesellschaft etwas zu verändern, müsse man sich zudem selber engagieren. Sie sei auch stellvertretend für die Schwächsten hier, die an diesem Aktionstag nicht teilnehmen können, aber gerne würden.
Für die 51-jährige Judith Fuchs und die 64-jährige Marianne Strebel war es im Odeon Garten die erste Teilnahme an einem Frauenstreiktag. Warum sie sich 1991 nicht am nationalen Aktionstag beteiligt hatten, konnten sie nicht sagen. Strebel begrüsste es, dass auch ein paar Männer den Weg hinter die Mauern des «Odeons» gefunden hatten. Denn ohne Männer gebe es keine Gleichstellung.
Über 120 Portionen Streiksuppe wurden insgesamt verteilt. Die Organisatorinnen, Nergis Kablan und Ligia Vogt, zeigten sich positiv überrascht über das Interesse am Brugger Aktionstag. «Es freut mich, dass alle Generationen so gut vertreten sind», sagte Vogt und hoffte, dass alle mit ihr nach Aarau kommen würden.
Violette T-Shirts, violette Banner und Fahnen, das Wort «Frauenstreik» in violetter Kreide am Boden geschrieben: Auch Bad Zurzach bekannte gestern Farbe. Im Pavillon beim Kurpark fand ein Mittagstisch mit Grill, Kaffee und Kuchen statt. Knapp 80 Frauen und einige Männer kamen zusammen, unterhielten sich gemütlich und applaudierten kräftig, als die beiden Organisatorinnen Elena Flach und Cybel Dickson das Manifest vorlasen. «Ich streike, weil ich in meinem Alltag immer wieder Ungleichheiten erlebe», sagte Flach. «Dagegen will ich etwas tun.»
Die Co-Präsidentin der SP Bezirk Zurzach wollte mit der Aktion aufmerksam machen und die Frauen aufwecken. Vor allem in Randgebieten sei es wichtig, die eigene Stimme wahrzunehmen. «Es nervt vielleicht, wenn wir immer wieder mit denselben Forderungen kommen», sagte Flach. «Aber solange noch keine Lösung auf dem Tisch ist, müssen wir auch weiterhin darüber sprechen.» So schienen das auch andere Zurzibieter zu sehen: Der Aufmarsch war grösser als erwartet. «Unsere Grilladen neigen sich bereits dem Ende zu», sagte Flach lachend. «Greift also besser schnell zu.» Nebst dem gemütlichen Beisammensein organisierten Flach und Dickson auch einen Siebdruck. Dort konnten T-Shirts und Taschen mit dem Logo des Frauenstreiks versehen werden. Im Hintergrund lief Musik. Natürlich von Frauen. Natürlich über Frauen.