Neuenhof
Coiffeur Secreti sagt nach 45 Jahren «Ciao» – seine Töchter übernehmen

Nach 45 Jahren sagt Coiffeur Leonardo Secreti «Ciao» – und übergibt das Geschäft seinen beiden Töchtern.

Karin Renold
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Antonia De Simone-Secreti (links) und Pina Corso-Secreti kümmern sich im Coiffeursalon Leonardo um die Haare ihres Vaters, der es sichtlich geniesst. Mario Heller

Antonia De Simone-Secreti (links) und Pina Corso-Secreti kümmern sich im Coiffeursalon Leonardo um die Haare ihres Vaters, der es sichtlich geniesst. Mario Heller

Mario Heller

Leonardo Secreti sitzt bequem im Coiffeurstuhl in seinem Salon in Neuenhof. Der Hinterkopf lehnt am Keramikwaschbecken und die Hände liegen gefaltet auf dem Bauch, während ihm seine beiden Töchter die schwarzen Locken waschen. «Sie schneiden mir jeweils die Haare», sagt Secreti. Seit 55 Jahren ist der gebürtige Kalabrese als Coiffeur tätig und seit 45 Jahren führt er den Coiffeursalon Leonardo. Nun hört er auf. «Mein grösstes Hobby war immer die Arbeit», sagt der 72-Jährige mit italienischem Akzent und zwinkert dabei mit einem Auge.

Karriere aus dem Bilderbuch

1962 verliess der damals 17-Jährige das süditalienische Städtchen San Giovanni in Fiore und folgte seinem Bruder in die Schweiz: «Er sagte mir, in Schinznach-Dorf sei eine Stelle als Coiffeur frei. Also bin ich einfach mit dem Zug in Richtung Norden aufgebrochen.» Bereits nach zwei Jahren aktivem Waschen, Schneiden und Föhnen bestand Secreti die Lehrmeisterprüfung. Er nahm fortan an unzähligen nationalen und internationalen Coiffeurturnieren teil. Von seinen Erfolgen zeugen Dutzende Ehrungen, die zwischen Pflegeprodukten und Engelsstatuen liebevoll in jedem Winkel des Salons platziert sind. «Für alle haben wir gar nicht Platz im Salon», fügt Secreti stolz an und zeigt ein eingerahmtes Diplom, das hinter einer Stehlampe versteckt an der Wand hängt.

Coiffeur Secreti im Geschäft an der Zürcherstrasse in Neuenhof.

Coiffeur Secreti im Geschäft an der Zürcherstrasse in Neuenhof.

Mario Heller

1972, nach zehn Jahren in der Schweiz, erlangte er die Aufenthaltsbewilligung C. Nun stand der Selbstständigkeit nichts mehr im Weg und er übernahm in Neuenhof den Salon eines Freundes. Nicht nur beruflich lief in dieser Zeit alles rund: Er heiratete Tortina Urso aus Wettingen — auch sie ist eine Kalabresin —, 1970 wurde ihre erste Tochter geboren. Das Geschäft wuchs. Secreti verfügte über viele Stammkunden, die zu richtigen Freunden geworden sind. «Alle drei Wochen schnitt ich ihnen die Haare. Und bis zu dreimal pro Woche kamen sie für eine Rasur vorbei», sagt Secreti. Dabei fährt er mit der Hand dem gestreckten Kinn entlang und beschreibt mit grossen Augen, wie er damals noch ein richtiges Rasiermesser benutzt hätte. Secreti: «Die Kunst des Rasierens habe ich als Jugendlicher in Italien gelernt.»

1994 kaufte Leonardo Secreti den neuen Salon an der Zürcherstrasse 118. Zu diesem Zeitpunkt sind die beiden ältesten Töchter ins väterliche Geschäft eingestiegen. Er legt grossen Wert darauf, dass sein Team immer auf dem neuesten Stand ist und keinen Trend verpasst. «Wenn wir nicht vorwärtsmachen, dann werden wir alt!», macht Secreti unmissverständlich klar. Seit 1986 bildet er Lehrlinge aus und jedes Jahr schickt der Maestro seine Angestellten zu Fortbildungen und Kursen.

Der Bürstenschnitt ist sein Favorit

Seit etwa 15 Jahren kommen vermehrt Kunden vorbei, die ein Foto mit ihrer Wunschfrisur vorzeigen würden, sagt Secreti. Grinsend formt er mit den Fingern eine Schere und lässt sie mit einer Bewegung zuschnappen: «Doch am liebsten mache ich einen Bürstenschnitt. Denn das ist mein Beruf! Nur die Spitzen schneiden, das ist für mich kein echter Haarschnitt.» Secreti ist ein gesprächiger Mensch. Er schätzt auch den Austausch mit seinen Kunden. «Früher sind die Leute nach dem Haarschnitt noch zwei bis drei Stunden im Salon sitzen geblieben. Sie haben Stumpen geraucht, über Sport und Politik diskutiert und geschwatzt. Heute ist es hektischer und die Kunden reden weniger», beschreibt Secreti.

Zwischen Meer und Schnee

Mit 72 Lebensjahren ist für Leonardo Secreti nun die Zeit gekommen, die Schere beiseitezulegen. Seine Töchter Antonia De Simone-Secreti und Pina Corso-Secreti übernehmen den Herren- und Damensalon in Neuenhof.

Zusammen mit seiner Frau freue er sich auf seine Reise nach Kalabrien Anfang September: «Wir haben ein Haus auf 1200 Metern über Meer. Rechts sehen wir die Schneeberge, links die Küste.» Das Ehepaar möchte in Zukunft mehrere Monate pro Jahr in Italien verbringen. Auf die Frage, was er in seiner neu gewonnenen Freizeit noch erleben möchte, zuckt Secreti nur mit den Schultern. «Meine Träume? Ich möchte gesund bleiben, mit meiner Frau die Zeit geniessen, und vielleicht eines Tages im Lotto gewinnen.»