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Bis Ende Jahr wäre Hochsaison der Märkte, doch viele wurden wegen Corona abgesagt. Darunter leiden Marktfahrer wie André Rudolf aus Niederrohrdorf. Mit «Rudolf’s Knoblibrot» reist er ansonsten durch die ganze Schweiz.
Wespen, nichts als Wespen, traf André Rudolf diese Woche an, als er einen seiner fünf Verkaufswagen von «Rudolf’s Knoblibrot» öffnete, um ihn zu reinigen. Da das Gefährt des Niederrohrdorfers seit Monaten nicht mehr im Einsatz stand, hatten die Insekten genügend Zeit, um darin unbemerkt ein gigantisches Nest zu bauen. Das Wespennest steht sinnbildlich für böse Überraschung, welche die Coronakrise der Marktbranche in der Schweiz bescherte. Und obwohl seit dem 11. Mai Märkte wieder erlaubt wären, sehen viele Veranstalter davon ab, Anlässe durchzuführen.
Jürg Diriwächter, Präsident des Schweizer Marktverbandes, bezeichnet die aktuelle Situation der Marktfahrer als «sehr dramatisch». Viele Händlerinnen und Händler seien seit Ende 2019 ohne Einkommen, denn von Januar bis März sei sowieso Winterpause. Zwar erhalten die Marktfahrer bis Ende Jahr EO-Entschädigungen. Doch damit könnten die laufenden Fixkosten nicht gedeckt werden. Es werde Geschäftsaufgaben und Konkurse geben. Auch hat der Marktverband bereits im April ein Schutzkonzept für Märkte erstellt. Zwar fänden seit dem 11. Mai vielerorts die Wochen- und Gemüsemärkte wieder statt. Doch aus Angst vor Corona-Ansteckungen würden sich die Veranstalter mit den Jahr- und Warenmärkten schwertun. Die Absagen würden zwar seitens der Marktgemeinden bedauert. «Aber ob den Stadt- und Gemeindebehörden der Ernst der Lage für unsere Branche wirklich bekannt ist?», fragt sich Jürg Diriwächter. (bst)
Die Herbstmesse Luzern: abgesagt. Der Berner Zibelemärit: abgesagt. Die Olma, die grösste Schweizer Publikumsmesse, findet in einer stark abgespeckten Version statt. Noch wartet André Rudolf auf die verbindliche Zusage, dass er in St. Gallen seine Knoblibrote, Hot Dogs und Brezen verkaufen darf. Jedoch werden maximal 5000 Personen auf das Gelände gelassen, und nicht rund 800000, wie bei Normalbetrieb. Auch viele regionale Anlässe fallen heuer ins Wasser, so die Weihnachtsmärkte in Bad Zurzach und Bremgarten. «Dabei wären die Märkte für uns überlebenswichtig», bedauert André Rudolf.
Gibt es eine Möglichkeit, an einem Event dabei zu sein, nimmt André Rudolf die Gelegenheit wahr. So war er an der Light-Version des Zürcher Knabenschiessens vor Ort. Jedoch erzielte er nur einen Bruchteil des gewohnten Umsatzes. Gleich erging es ihm an der Chilbi in Wetzikon. «Weil wir keine Werbung machen dürfen, wissen viele Menschen gar nicht, dass überhaupt Anlässe durchgeführt werden», ärgert er sich.
André Rudolf schätzt, dass er bis Ende Jahr nur etwa fünf Prozent des gewohnten Jahresumsatzes erwirtschaftet haben wird. Und die Zukunftsaussichten sind ebenfalls düster: Bis Ende Mai 2021 seien alle grösseren Events abgesagt, darunter auch das Eidgenössische Musikfest in Interlaken, das nur alle fünf Jahre stattfindet. Die monatlichen Fixkosten von «Rudolf’s Knoblibrot GmbH» belaufen sich auf rund 13000 Franken. Jeden Monat schiesst André Rudolf mehrere tausend Franken aus seinem privaten Vermögen in die Firma ein. Einen Coronakredit hat er zwar erhalten, doch möchte er diesen möglichst gar nicht antasten.
Seit über drei Jahrzehnten zieht der 65-Jährige mit «Rudolf’s Knoblibrot» quer durch die Schweiz. Das Marktwesen hat er im Blut: Schon als Jugendlicher unterstützte André Rudolf seinen Vater, der Haushaltsartikel verkaufte, als Marktschreier und Produktevorführer. 1989 begann er, an den Märkten Knoblauchbrote zu verkaufen.
Das neue Angebot fand Anklang: Was mit einem einfachen Tisch und einem Marktschirm begann, entwickelte sich innert weniger Jahre zum erfolgreichen Unternehmen mit kunstvoll gestalteten Verkaufswagen, die aussehen wie Alphütten oder Knusperhäuschen. «Besonders die vergangenen zehn Jahre waren sehr lukrativ», sagt André Rudolf. Den Hauptumsatz erzielte der Niederrohrdorfer Markfahrer jeweils in der Zeit von September bis Ende Dezember.
An der aktuellen Situation schmerzt ihn besonders, dass die Marktfahrer von der Politik zu wenig beachtet würden. «Für unsere Branche interessiert sich niemand», findet André Rudolf. Dabei handle es sich mehrheitlich um Familienbetriebe, die seit vielen Generationen als Marktfahrer unterwegs sind. Wenn diese eingehen, verschwinde auch ein Kulturgut mit jahrhundertealter Tradition.
Doch allen Widrigkeiten zum Trotz – André Rudolf gibt sich kämpferisch: «Ich habe meine Firma nicht 30 Jahre lang aufgebaut, um jetzt einfach aufzugeben.» Davon werden ihn auch die Wespen in seinem Verkaufswagen nicht abhalten. Noch gleichentags liess er deren Nest von der Feuerwehr entfernen.