Baden
Das aufwendigste Volksfest der Schweiz: In drei Monaten beginnt die Badenfahrt

Ab dem 18. August herrscht in Baden während 10 Tagen der Ausnahmezustand. Weit weg von behördlicher Obrigkeit wird die Post mächtig abgehen.

Roman Huber
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Die Badenfahrt lockt die Besucher in Scharen an, etwa mit ihren legendären Festbeizen. Dieses Jahr findet sie vom 18. bis 27. August 2017 statt.

Die Badenfahrt lockt die Besucher in Scharen an, etwa mit ihren legendären Festbeizen. Dieses Jahr findet sie vom 18. bis 27. August 2017 statt.

zvg

Zürifäscht, Albanifest in Winterthur, Escalade Genevois, Bénichon im Freiburgischen, Castagnata in Ascona – es gibt schweizweit nichts Vergleichbares. Der Zürcher Dichter und Politiker David Hess hatte vor 200 Jahren den Begriff Badenfahrt aufgenommen und ihn damit auch literarisch zu einer Marke gemacht. «Label» würde man es heute nennen. Doch wofür und warum, und wie viel badenerische Selbstüberschätzung ist da mit inbegriffen?

Die Badenfahrt ist eines der aufwendigsten und grössten regelmässig stattfindende Volksfeste der Schweiz. Über 100 Festbeizen, drei Hauptbühnen, mehrere Kleinbühnen, mehrere hundert kulturelle Veranstaltungen allein an beiden Wochenenden, über 1000 während der 10 Tage, dazu ein grosses Festspiel oder ein Fest-Corso, und unter dem Strich jeweils über eine Million Besucherinnen und Besucher.

«Badener Geist» breitet sich aus

Die Badenfahrt ist längst ein Ereignis geworden, mit dem eine Region bis in den Westaargau oder hinauf ins zürcherische Limmattal vom «Badener Geist» erfasst wird, der oft auch als Ausdruck von Überheblichkeit oder Selbstüberschätzung betrachtet wird. Wer eine Badenfahrt schon erlebt hat, weiss, dass dem nicht so ist. Badener berufen sich zwar gerne auf diesen oft zitierten «Geist». Und mit ihm lässt sich das Phänomen der Badenfahrt zumindest stückweise begründen. Doch dahinter steckt noch viel mehr, und schon gar nicht Überheblichkeit.

Eine Badenfahrt ist das glückliche Zusammenspiel von Kreativität, Spontaneität, Geist und Kultur in einer ungeahnten Fülle. Hunderte, ja Tausende aktiver Kräfte einer ganzen Region, organisiert in Vereinen, Organisationen und spontan auf die Beine gestellten Gruppierungen, finden sich an einer Badenfahrt zusammen und bringen in ungeahnter Vielfalt und Kreativität ein Fest zustande, wie man es ein weiteres Mal jeweils nicht für möglich halten würde.

Jede Badenfahrt ist eine Badenfahrt für sich, mit eigenem Motto – 2017: «versus» –, eigenem Charakter und immer wieder neuen Menschen, die dem Virus als Festbauer, Helfer oder dann als Teilnehmende nicht widerstehen können. Geprägt von einer Eigendynamik und fernab von behördlicher Obrigkeit oder Vereinsmeierei geht hier ganz einfach die Post, ein Fest ab. Sinnbildlich trägt dafür mit dem Badenfahrtkomitee weder eine Verwaltung noch ein Vereinsvorstand die Verantwortung, sondern ein zusammengewürfelter Haufen initiativer Leute, die ihre persönlichen und beruflichen Kompetenzen mitsamt ihrem Netzwerk voller Enthusiasmus gemeinsam und gezielt für eine Sache einsetzen. In zeitraubend und manchmal nervenaufreibender Arbeit – wohlvermerkt: ehrenamtlich – erkämpfen sie immer wieder aufs Neue ein anderes Fest, das seit bald einmal 100 Jahren eine Marke ist. Das beginnt mit dem Ordnen verrücktester Einfälle, aus denen eine Badenfahrt erste Konturen erhält, die dann in kreativer Feinarbeit zu einem Festkonzept mit konkreten Inhalten geformt werden.

Zwar ist das Badenfahrtkomitee rechtlich als Verein mit Statuten eingetragen. Doch für jede Badenfahrt konstituiert sich das Komitee neu. Know-how und Erfahrungen gelangen fliessend von einer zur andern Generation, und ohne irgendwelche Eifersüchteleien stets mit dem Ziel, ein ebenso tolles Fest zu gestalten, wie es das vorherige gewesen ist. Wer im Komitee nicht mehr aktiv an vorderster Front dabei ist, übergibt seine Aufgabe und scheidet als Mitglied aus. An diesem Konzept, an dieser Konstellation, hat sich seit Beginn der modernen Badenfahrten nichts geändert. Möglicherweise liegt gerade darin der Erfolg, der bis jetzt jeder Badenfahrt beschieden war.

Der Historie verpflichtet

Dennoch: Badenfahrt und Historie lassen sich nicht trennen. Schon zur Römerzeit waren die Aquae Helveticae dank ihrer Thermalquellen ein Ort, wo man nicht nur Wunden und Gebresten gesundbadete. Badens Bäder boten Atmosphäre und Raum, wo sich Krethi und Plethi rund ums Badeleben in allerlei Vergnügungen verlustierte. Kein Wunder, wurde die Stadt Baden zum begehrten Tagungsort, Ausflugsziel prüde gehaltener Zürcher Zwinglianer und nicht nur der Brötli wegen Ziel der ersten Eisenbahnfahrt, an deren Jahresendzahl «7» sich dieses Fest wacker hält.

Trotz ihrer geschichtlichen Verknüpfung wird heute jede Badenfahrt von ihrem Zeitgeist und der jeweiligen Gesellschaft geprägt. Das drückt sich sowohl im Unterhaltungsangebot aus wie auch in der Art, wie sich die Aktiven am Fest präsentieren und beteiligen. Die Badenfahrt wird – «Badener Geist» hin oder her – ein Fest der Gegenwart sein. Solange es sie gibt.