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Seit 2006 existiert die fusionierte Gemeinde Ehrendingen. Das «Badener Tagblatt» hat einen Befürworter und einen Gegner von damals gefragt, ob sich der Zusammenschluss gelohnt hat. Ihre Einschätzungen gehen noch heute weit auseinander.
März 2003, Gemeindesaal Unterehrendingen: 130 Bewohner diskutieren über eine mögliche Fusion mit der Nachbargemeinde Oberehrendingen. Die Stimmung lässt sich gemäss az-Reporter mit «zurückhaltend zustimmend» beschreiben. Doch es gibt auch Vorbehalte: Unterehrendingen drohe nach einem Zusammenschluss zu einem Schlafquartier degradiert zu werden. Auch in Oberehrendingen treffen sich Einwohner zu einer Diskussion. Das politische Gewicht der neuen, einwohnerstärkeren Gemeinde würde im Bezirk Baden sicherlich zunehmen, heisst es hier, doch es gibt Befürchtungen finanzieller Art, weil die Pro-Kopf-Verschuldung des Nachbarn höher ist als die eigene.
Rund zwei Jahre später wird die Fusion deutlich mit 68 Prozent Ja-Stimmen (Unterehrendingen) und 72 Prozent Ja-Stimmen (Oberehrendingen) angenommen. Der Zusammenschluss wird per 1. Januar 2006 vollzogen – 180 Jahre nach der Trennung 1825 werden die beiden Gemeinden wieder zusammengefügt. Ehrendingen ist inzwischen zehn Jahre alt, und es stellt sich die Frage: Wie tickt das neue Ehrendingen?
Beim Blick auf die Statistik fällt die bedeutendste Veränderung schnell auf: Die Bevölkerung ist im vergangenen Jahrzehnt überdurchschnittlich stark angewachsen, von 3829 Bewohner Ende 2006 auf heute 4749 Einwohner. Zum Vergleich: Die kleine Nachbargemeinde Freienwil oder der grosse Nachbar Baden sind im selben Zeitraum prozentual nur halb so stark gewachsen. «Ohne Fusion wäre eine solche Entwicklung nie möglich gewesen», ist Renato Sinelli überzeugt. Er war als Vizeammann in Unterehrendingen massgeblich an den Zusammenschlussgesprächen beteiligt und ab 2006 der erste Ehrendinger Gemeindeammann. «Wir hatten nach dem Zusammenschluss die Möglichkeit, alles schnell aus einer Hand zu planen, statt wie zuvor sämtliche Entwicklungen koordinieren zu müssen.»
Das Ehrendinger Zusammenschlussprojekt gelte zu Recht als Vorzeigefusion, erklärt er. «Heute steht zweifellos fest, dass sich der Zusammenschluss gelohnt hat. Wir haben eine schlagkräftige Verwaltung, der Steuerfuss ist gesunken, und unsere Meinung in der Region zählt.» Früher sei es vorgekommen, dass Unter- und Oberehrendingen im Gemeindeverband Baden Regio unterschiedliche Meinungen hatten und sich dadurch sozusagen gegenseitig die Kraft raubten. «Heute zählt Ehrendingen sicher zu den Gemeinden im Bezirk, die wahrgenommen werden.»
Verändert hat sich seit der Fusion auch die Zusammensetzung der Bevölkerung: Es leben deutlich mehr Kinder und Teenager im Dorf als früher. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist von 16,7 Prozent auf 22,4 Prozent angestiegen. «Ehrendingen ist ganz offensichtlich ein attraktiver Wohnort für Familien», so Sinelli. Der Steuerertrag pro Einwohner ist zwar angestiegen, liegt aber noch immer deutlich unter dem kantonalen Mittel. «Die Vermutung liege nahe, dass viele Leute nach Ehrendingen gezogen sind, die sich kein Häuschen in Baden oder Wettingen leisten konnten. Diese Leute tun unserer Gemeinde gut, die Weltoffenheit ist weiter gestiegen», sagt Sinelli. Für ihn ist klar: Der Zusammenschluss vor zehn Jahren war erst der Anfang. «In hundert Jahren wird es die Gemeinden rund um Baden wie heute nicht mehr geben. Sie werden auch politisch längst mit der Stadt verschmolzen sein.»
Ganz anders beurteilt Peter Affolter den Zustand der zehnjährigen Gemeinde. Er zählte vor der Abstimmung zu den Gegnern einer Fusion, und er würde auch heute noch dagegen stimmen. «Wir haben im ehemaligen Unterehrendingen keinen Dorfladen mehr, keine Poststelle mehr, und auch die Raiffeisenbank ist verschwunden. Wir sind wie befürchtet zum Schlafquartier geworden», sagt Affolter, der noch immer im Unterdorf lebt. Gerade für ältere Menschen ohne Auto sei das Unterdorf nicht mehr so attraktiv wie früher. In diesem Punkt widerspricht ihm Sinelli: «Zu den Schliessungen kam es nicht wegen der Fusion, sondern aus Rentabilitätsgründen.»
Fusions-Gegner Affolter erklärt weiter: «Das ehemalige Unterehrendingen hat an Identität verloren. Wir fühlten uns früher eher dem Surbtal zugehörig. Wohl auch wegen der vielen Zuzüger ist das gesamte Ehrendingen aber nur noch in Richtung Baden ausgerichtet.» Das habe wohl auch politische Nachteile: «Es droht uns – wie auch den Surbtalgemeinden – zum Beispiel stetig zunehmender Fluglärm, sowohl von Starts wie auch von Landungen. Früher bildeten wir in dieser Frage gemeinsam eine relativ starke Allianz. Heute kümmert sich meines Wissens niemand in der Gemeinde echt um dieses Thema.» Im gleichen Masse, wie Ehrendingen in der Region Baden an Bedeutung gewann, habe man in der restlichen Umgebung an Einfluss und auch Halt verloren, lautet ein Fazit Affolters. Selbstverständlich habe die Fusion auch ihre guten Seiten: Die Anbindung an den öffentlichen Verkehr sei besser geworden, es fahren mehr Busse als früher ins Dorf, was auch mit der besseren Stellung im Kanton zu tun habe. «Gut gelöst wurde auch die Schulhausproblematik. Ich hatte befürchtet, der Standort Unterdorf würde benachteiligt. Doch zum Glück haben die jüngeren Schüler dank des gut um- und ausgebauten Schulhauses nach wie vor einen kurzen Schulweg.»
Für die Zukunft der Gemeinde ist Affolter trotz seiner Kritik an der Fusion zuversichtlich: «Ich bin überzeugt, dass wir insgesamt attraktiv bleiben werden. Wir verfügen über eine gute Bevölkerungsstruktur, eine gute Durchmischung. Früher war die Überalterung ein Thema. Davon spricht heute niemand mehr.»
Der amtierende Gemeindeammann Hans Hitz nennt die Fusion ein gelungenes Experiment. «In einem Punkt stimme ich den Kritikern zu: Die Infrastruktur von zwei autonomen Gemeinden zusammenzuführen, ist die grösste Schwierigkeit und uns noch nicht in allen Teilen gelungen.» Die aktuelle Lösung mit zwei Gemeindehäusern beispielsweise sei nicht ideal, langfristig müsste ein zentraler Standort angestrebt werden. Hingegen sei es bereits gelungen, die Schulraumplanung erfolgreich durchzuführen.
Dass es im Unterdorf inzwischen keine Bank, Post und Einkaufsmöglichkeiten mehr gebe, habe aber nichts mit der Fusion zu tun, entgegnet er. «Diese Entwicklung zeichnete sich schon lange vor dem Zusammenschluss ab.» Auch die Beziehungen zu den Surbtal-Gemeinden sowie Niederweningen seien absolut intakt, sagt Hitz.
Der Gemeindeammann geht davon aus, dass die grössten Veränderungen, welche die Fusion mit sich brachte, bereits vollzogen worden sind. Das Bevölkerungswachstum habe seine Spitze vor einiger Zeit erreicht und flache bereits wieder ab. Zwar ermögliche verdichtetes Bauen eine weitere Zunahme der Einwohnerzahl, doch nicht mehr im selben Masse wie in den vergangenen Jahren.
Auch die Zusammensetzung der Bevölkerung werde sich im kommenden Jahrzehnt nicht mehr so kräftig verschieben. «Es sind in den vergangenen Jahren viele junge Familien zu uns gezogen, darunter eine grosse Anzahl ausländische Ingenieure, die in Baden arbeiten. Ehrendingen ist dadurch jünger geworden, zudem hat der Ausländeranteil zugenommen, ist aber mit 18 Prozent immer noch relativ tief.»