Baden
Debatte um Stadtratskandidatin Sandra Kohler: «Ich schätze ihre Chancen als gering ein»

Die politisch unerfahrene Sandra Kohler will Stadtammann werden. Gegner und Experten äussern sich.

Pirmin Kramer und Martin Rupf
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Sandra Kohler will als erste Frau Badener Stadtammann werden. Hier serviert sie Kaffee im Restaurant "Fiori" in Baden.
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Während des Wahlkampfs wird sie jeden Samstag im Restaurant "Fiori" im Service arbeiten. Dort hilft sie Wirt "Kumi" aus.
"Er (der Wirt) zahlt mir nichts, im Gegenzug darf ich mir die Freiheit rausnehmen, im 'Kafi Sandra' mit Badenerinnen und Badenern in den Dialog zu treten, damit diese mich besser kennenlernen", sagt Kohler zur az.
Sandra Kohler kandidiert als Badener Stadtammann
Von kritischen Stimmen und schlechten Wahlprognosen will sie sich nicht unterkriegen lassen.

Sandra Kohler will als erste Frau Badener Stadtammann werden. Hier serviert sie Kaffee im Restaurant "Fiori" in Baden.

Sandra Ardizzone

Sandra Kohler hat am vergangenen Wochenende ihre Kandidatur als Stadtammann bekannt gegeben und damit ganz Baden verblüfft. Politisch bisher ein völlig unbeschriebenes Blatt, ist das Ziel der parteilosen Kommunikationsfrau bei den Wahlen im Herbst nicht weniger als das wichtigste politische Amt in der Stadt.

Wie gross sind die Chancen der 36-Jährigen, die erste Frau Stadtammann in Baden zu werden? Der ehemalige Stadtrat Reto Schmid kennt Badens Politik so gut wie nur wenige. Vor der Ersatzwahl 2015 sagte er die Resultate aller Kandidaten fast punktgenau voraus. Schmid sagt: «Es wird für Sandra Kohler eine Herkulesaufgabe, die Sensation zu schaffen. Ihre Chancen schätze ich als bescheiden ein. Ihr grösstes Handicap: Sie ist politisch nicht greifbar. Man weiss nicht, wofür sie steht.» Hinzu komme, dass das Badener Stimmvolk in der Vergangenheit jene Kandidaten gewählt habe, die den klassischen politischen Weg gingen und sich die Sporen in Einwohnerrat, Vereinen und Kommissionen abverdienten.»

«Amt verdient mehr Respekt»

Marianne Binder-Keller, CVP, Baden.

Marianne Binder-Keller, CVP, Baden.

Zur Verfügung gestellt

Kritisch zu Kohlers Kandidatur geäussert hat sich auf Twitter die Badener CVP-Grossrätin Marianne Binder. Auf Anfrage sagt sie diplomatisch, es sei niemandem verboten, sich ins Rennen zu begeben, Konkurrenz belebe den Wahlkampf, und das Überraschungsmoment sei Sandra Kohler gelungen. «Mir fehlt jedoch ein politisches Programm und eine Vision für die Stadt. Gerade bei jemandem, der keine politische Erfahrung hat, müssen die Wählerinnen und Wähler doch wissen, woran sie sind.» Auf der Website von Sandra Kohler sucht man politische Statements bisher tatsächlich vergeblich. Irritiert hat Marianne Binder letztlich Kohlers Aussage, sie trete nur als Stadtammann an, «nur» Stadträtin zu sein, sei keine Option. «Selbst wenn man sich zu Höherem berufen fühlt – Amt und die Arbeit eines Stadtrates oder einer Stadträtin sollten nicht unterschätzt werden und verdienen mehr Respekt und Achtung, finde ich.»

«Kein politischer Rucksack»

Kohlers Gegner für das Stadtammannamt reagieren mit betonter Gelassenheit auf ihre Kandidatur. Der amtierende Vizeammann Markus Schneider (CVP) sagt, jede Kandidatur sei ernstzunehmen. «Aber ohne jeden politischen Rucksack ist ein solches Amt kaum zu bewältigen, und entsprechend schätze ich ihre Wahlchancen ein.» Für einen Neustart brauche es Fachwissen und Rückhalt. «Ich habe klare Vorstellungen, wohin ich Baden führen will.

Der amtierende Stadtrat Erich Obrist (parteilos) war während zweier Jahre Sandra Kohlers Klassenlehrer an der Bezirksschule. «Sie war eine gute, engagierte Schülerin. Ich hatte immer einen guten Draht zu ihr. Ich freue mich, sie dank dem Wahlkampf wieder öfters zu sehen.» Er finde es gut, kandidiere sie, dadurch vergrössere sich die Auswahl für die Wählerinnen und Wähler. Er nehme grundsätzlich jede Kandidatur ernst. Mühe habe er einzig, wenn Kohler bekunde, mit ihm oder auch Markus Schneider sei in Baden kein Neuanfang möglich. «Das müsste sie dann schon ein wenig begründen.» Überhaupt sei er gespannt, mit was für Inhalten Kohler die Wähler überzeugen wolle. Einen kleinen Seitenhieb gegen die Kommunikationsberaterin kann sich Obrist nicht verkneifen: «Politik ist mehr als einfach nur kommunizieren.» Der amtierende Stadtammann Geri Müller (team) sagt zu Kohlers Kandidatur nur: «Kein Kommentar».

Stadtrat: Verzicht ist schwierig

So klar die Ansage der Kandidatin – «Stadträtin zu sein, ist für mich keine Option» – aus rechtlicher Sicht ist die Ausgangslage komplexer. Das Problem: Wer Stadtammann werden will, muss gleichzeitig auch als Stadtrat gewählt werden. Schafft man nur die Wahl in den Stadtrat, kann man aber nicht ohne weiteres auf dieses Amt verzichten. Stadtschreiber Marco Sandmeier bestätigt auf Anfrage: «Mit der Anmeldung für die Stadtratswahl reicht man bereits auch eine Wahlannahmeerklärung ein. Folglich müsste eine Person, die als Stadtrat gewählt wird, aber das Amt nicht antreten will, sogleich wieder den Rücktritt geben. Doch der Rücktrittsentscheid müsste noch vom Kanton abgesegnet werden, er hat das letzte Wort.» Sandra Kohlers kurzer Kommentar dazu: «Mein Ziel ist das Stadtammann-Amt.»

Kohler lässt sich von kritischen Stimmen und schlechten Wahlprognosen nicht beirren, im Gegenteil. «Seit dem Wochenende habe ich viel Zuspruch erhalten. Ich glaube an meine Chance. Ich spüre, dass ich diesen Job unbedingt machen will.» Dass sie nicht den klassischen Weg gehe und direkt Stadtammann werden möchte, entspreche ihrem Naturell. Sie wolle sich zu 100 Prozent auf die Aufgabe fokussieren und die Stadt so vorwärtsbringen.

Sie unterstützte bisher Ramseier

Brisant: Bis vor wenigen Tagen gehörte Kohler dem Wahlkampfteam des Stadtrats- und Vizeammannkandidaten Philippe Ramseier (FDP) an. Die Firma «Schaerer und Partner» war für den visuellen Teil seines Wahlkampfs zuständig. «Ich habe grosse Augen gemacht, als sie mir mitteilte, sie kandidiere als Stadtammann», sagt er. Er erachte sie aber nicht als Konkurrentin, weil er selber als Vizeammann kandidiere. Sie sagt: «Ich schätze Philippe Ramseier nach wie vor. Aber nach meinem Entscheid war es klar, dass ich mich ab jetzt auf meine eigene Kandidatur konzentrieren will.»