Region Baden
Den Kinderkrippen fehlen männliche Erzieher – trotz grosser Nachfrage

Einige Kitas in der Region Baden wollen männliche Kleinkinderzieher anstellen - doch auf dem Jobmarkt sind nur wenige zu haben. Und die wenigen, die den Beruf ausüben, werden mit Vorurteilen konfrontiert.

Sabina Galbiati
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«Es ist an der Zeit, die Vorurteile und Ängste gegenüber Männern in Betreuungsberufen abzubauen», sagt KrippeninhaberOlivier Chevalier (ganz links).

«Es ist an der Zeit, die Vorurteile und Ängste gegenüber Männern in Betreuungsberufen abzubauen», sagt KrippeninhaberOlivier Chevalier (ganz links).

Mario Heller

Von den rund 50 Kindertagesstätten (Kitas) im Bezirk Baden gibt es kaum eine, die einen, geschweige denn mehrere männliche Kleinkinderzieher beschäftigt. Eine Umfrage bei einigen Kitas in der Region zeigt allerdings, dass die Nachfrage nach männlichen Kleinkinderziehern gross ist.

«Bei uns ist das Thema sehr aktuell», sagt Olivier Chevalier, Inhaber der Kita Bäredörfli in Baden. Das «Bäredörfli»-Team besteht derzeit ausschliesslich aus Frauen. «Sie würden es alle sehr begrüssen, wenn ein Mann im Team wäre», sagt Chevalier.

Es gebe viele alleinerziehende Mütter, deren Kinder die Kita besuchen und praktisch bis zur Oberstufe nur weibliche Erziehungspersonen hätten. «Die Erzieherinnen sind überzeugt, eine männliche Bezugsperson würde den Kindern sehr gut tun – und auch dem Team.»

Passt ein Praktikant oder Kleinkinderzieher auf die Kinder auf, dürfen sie sich auch mal raufen, werden weniger gehätschelt. Frauen seien harmonischer, wollen immer gleich die Wogen glätten, erzählt eine Kitaleiterin. Zudem würden Männer andere Beobachtungen bei Fortschritten und dem Verhalten der Kinder machen, was letztlich dem Kind zugutekomme.

Sexualität und Verhalten in der Kita: Das sind die Regeln

Im Bezirk Baden sind 35 der 50 Kitas beim Verband Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse) als Mitglieder aufgeführt. Kibesuisse hat
einen Verhaltenskodex zu sexueller Gewalt erarbeitet. Darin sind Verhaltensregeln für die tägliche Arbeit festgehalten. Unter anderem steht:

- Den Mitarbeitern ist das Küssen von Kindern untersagt. Alle Handlungen mit sexuellem Charakter (Berührung von Brust und Genitalien von Kindern und Jugendlichen) ebenso wie sexualisierte Sprache sind verboten.
- Wenn gewickelt wird, wird ein Mitarbeiter informiert. Die Tür zum Wickelraum bleibt offen.
- Das Kind wird nur aufs WC begleitet, wenn es Hilfe benötigt. Dies wird mit den Eltern abgesprochen.
- Fieber wird, wenn immer möglich im Ohr gemessen. Muss das Fieber rektal gemessen werden, wird dies entweder in Anwesenheit einer weiteren Person oder im Gruppenzimmer vorgenommen oder andere Anwesende werden informiert.
- Wird im Sommer im Garten gebadet oder gespielt, tragen die Kinder Badekleider. Die Kinder werden nur in Ausnahmefällen oder im Zusammenhang mit der Ausbildung im Haus gebadet, nach Absprache mit der Gruppenleitung und gegebenenfalls den Eltern und in Anwesenheit einer zweiten Person. Das Baden muss begründet sein.
- Das Entdecken des eigenen Körpers gehört zur normalen Entwicklung eines Kindes. Das Spiel «Dökterle» wird zugelassen und soll an einem dafür bestimmten Ort stattfinden. Es ist ein normales Spiel zwischen Kindern. Erwachsene nehmen nicht teil an der kindlichen Handlung. Das Spiel wird unauffällig beobachtet. Es wird nur eingegriffen, wenn ein Machtgefälle entsteht. Die Kinder sollen in etwa gleich alt sein. (Gal)

Wie in anderen Kitas fehlt es dem «Bäredörfli» an Bewerbern. «Wir haben nur Bewerbungen für Schnupperlehrlinge», sagt Chevalier. Deshalb ergebe sich gar nicht erst die Möglichkeit, einen Mann einzustellen. «Ich kann die Skepsis der jungen Männer verstehen, der Kleinkinderzieher entspricht nicht unserem gängigen Rollenbild vom Mann und die Karrieremöglichkeiten sind eher beschränkt», sagt er.

Die Rollenbilder hinterfragen

Einer der ganz wenigen jungen Männer, die den Beruf Kleinkinderzieher erlernen, ist der 18-jährige Joel Läubin. Er macht seine Lehre in der Kita Iberg in Mellingen. Wie viele Jugendliche suchte er Rat bei einem Berufsberater. Seine Testergebnisse hatten ihn allerdings sehr überrascht. Auf Platz eins der Top-Ten-Liste stand Kleinkinderzieher. Nach anfänglichem Staunen konnte er sich aber gut vorstellen, diesen Beruf zu erlernen.

«Ich hatte die Unterstützung von meiner Familie und meine Freunde haben mich motiviert, mich bei Kitas zu bewerben», erzählt Läubin. Er hatte auch Glück: «Mein Lehrer in der Oberstufe hat die gängigen Rollenbilder von Männern und Frauen hinterfragt und uns diese Einstellung weitergegeben», erzählt er. Das habe die Wahl eines untypischen Berufs erleichtert. Heute ist Läubin froh über seine Wahl. «Es ist grossartig zu sehen, wie die Kinder Fortschritte machen und man dazu beiträgt.»

Auch den Kontakt zu den Eltern schätze er sehr, weil er ihnen bei Erziehungsfragen helfen könne. Doch Läubin wird nach seiner Ausbildung nicht auf dem Beruf bleiben: Er will die Berufsmittelschule absolvieren und dann Psychologie studieren.

Maja Grob ist Badener Standortleiterin von «ask!», Beratungsdienste für Ausbildung und Berufe Aargau. «Die jungen Männer interessieren sich generell kaum für das Berufsfeld Bildung und Soziales», sagt sie. «Als Berufsberater kann man die Entscheide der Jugendlichen auch nur wenig beeinflussen.» Dafür seien die Rollenbilder von Mann und Frau zu tief in der Gesellschaft verankert. «Gerade bei den Teenagern sind die Rollenbilder noch sehr ausgeprägt, weil sie schon genug beschäftigt sind mit Erwachsenwerden», sagt Grob.

«Die Jugendlichen wollen ihren Berufsentscheid nicht ständig rechtfertigen müssen». Bei solchen Genderthemen müssten zuerst die Eltern und Lehrpersonen aktiv werden und die Rollenbilder aufbrechen. Dazu hat Chevalier eine klare Meinung: «Es ist an der Zeit und notwendig, die Vorurteile und Ängste abzubauen und sich gegenüber Männern in Betreuungsberufen zu öffnen.»

Angst vor Pädophilie

Grob vermutet, dass auch die ganze Diskussion um Pädophilie nicht sehr hilfreich ist. Angesprochen auf dieses Thema, reagiert Läubin sehr offen. «Das muss man natürlich thematisieren», sagt er. «Wir werden aber schon in der Ausbildung darauf sensibilisiert, wie wir uns angemessen verhalten.» Als Mann müsse er sich anders verhalten als Frauen. «Ich nehme keine Kinder auf den Schoss oder halte eher mal Abstand.» Beim Wickeln bleibe die Tür offen – egal ob Mann oder Frau wickelt.

Für Chevalier ist klar, dass das Thema Pädophilie im Zusammenhang mit Kitas und männlichen Betreuern mit den Eltern diskutiert werden muss. «Ich glaube aber, dass viele von ihnen weniger skeptisch sind, als man denkt», sagt er. Es gebe jedoch Eltern, die Angst hätten, und das sollte man ernst nehmen.

Dabei ist der Umgang mit Sexualität in den Kitas längst kein Tabuthema mehr (siehe Text links). Grundlagen dazu liefern die Kita-Betriebsreglemente der Gemeinden. Beispielsweise müssen alle Kitas mit Sitz in einer der Krippenpoolgemeinden Baden, Ennetbaden, Obersiggenthal oder Wettingen im Bewerbungsverfahren Referenzauskünfte und einen aktuellen Strafregisterauszug verlangen. Zusätzlich besteht ein Reglement, das Auskunft über die fachlichen Standards zur Prävention von sexuellen Übergriffen, Gewalt und den Umgang mit Verstössen gibt.

Die Geschäftsstelle des Krippenpools hat im Winter bereits eine Weiterbildung zum Thema organisiert. Diese sei sehr gut besucht gewesen, sagt Katrin Giger, Fachmitarbeiterin der Geschäftsstelle Krippenpool und stellvertretende Leiterin. «Die Krippen erhielten wichtige Inputs zur Weiterentwicklung ihrer Reglemente und arbeiten aktiv an der Thematik.»