«Der Paradiesvogel ist uns entflogen»

Vernissage und Hommage für den Badener Künstler Attila Herendi, der im März verstarb.

Ursula Burgherr
Drucken
Leinensakko und Hut: Herendi war extravagant gekleidet.

Leinensakko und Hut: Herendi war extravagant gekleidet.

Bild: Ubu

«Der einst Fremde, der extrovertiert Gekleidete mit Hut, mit Handkuss und mit ‹meine Verehrung, gnädige Frau›. Das wird uns fehlen. Ein Bild aus alten Zeiten vielleicht... Der Paradiesvogel ist uns entflogen.» Es ist ganz still in der Galerie 94, als Stella Palino den persönlichen Abschiedsgruss von Helen Herendi an ihren am 9. März dieses Jahres verstorbenen Mann vorliest. Inmitten von Porträts und Bildern, die aus seinem nun leergeräumten Atelier im Streule-Areal stammen. An einem Kleiderbügel hängt ein Leinensakko von Attila Herendi, der seine extravaganten Kleider stets selbst entwarf. Darüber baumelt einer der typischen breitkrempigen Hüte, die er immer trug. Fast scheint es, als ob er nur mal kurz den Raum verlassen hätte...

Viel Unbekanntes und Intimes kommt zu Tage

«Attila konnte mit seinem irrsinnig guten Strich und ganz viel Empathie die gesamte Essenz eines Menschen in ein Porträt übersetzen», bringt Schwiegersohn Beat Zoderer die besondere Gabe des verstorbenen Künstlers auf den Punkt. Zusammen mit Theaterfrau Stella lässt er in der Galerie 94 im Merker-Areal das Leben des Badener Originals Revue passieren. Viel Unbekanntes und Intimes kommt zu Tage. Zum Beispiel von seiner Kindheit in Südungarn und dem Architekturstudium in Budapest. Wie er als überzeugter Kommunist gejubelt habe, als die sowjetische Armee einmarschierte. Und dann paradoxerweise doch seiner Heimat den Rücken kehrte. Warum, wusste niemand so genau. Nach über 35 Jahren habe er seine Eltern wiederbesucht. Ohne sich vorher anzumelden. «Der Vater war so überrascht, dass er sich am Spültrog festhalten musste», erinnert sich Zoderer, der mit dabei war.

Kaum jemand weiss, dass Herendi ab Ende der Neunzigerjahre regelmässig zu Fuss über die Grenze nach Ungarn ging. «Auf seinem Weg unterhielt er sich mit den einfachen Leuten, wollte wissen, wie es ihnen geht», erzählt Zoderer und fügt hinzu: «Ihn haben immer die Menschen interessiert. Vor allem die sozial Schwachen. Den Kunstmarkt und die Bourgeoisie hasste er wie die Pest.» Ungeschminkt habe der «grossgewachsene Geck, der alle Frauen verzauberte», stets seine Meinung kundgetan, erinnert sich Stella Palino an Attila Herendi. «Mit Helen besuchte er jede meiner Theatervorstellungen und kritisierte scharf und gnadenlos, wenn etwas nicht gefiel.»

Die Ästhetik der älteren Menschen

Unter den vielen Galeriebesuchern ist auch Schriftsteller Max Dohner, der mit Herendi befreundet war. «Entgegen dem heutigen Jugendwahn fand Attila alte Menschen ästhetisch und spannend, in deren Gesichtern das Leben Spuren hinterlassen hatte», bekundet er vor der riesigen Atelierwand, die mit hunderten von Skizzen und Zeichnungen behängt ist.

Einer der Porträtierten ist der Badener Goldschmied Alfred Maximilian Hiss. Er entdeckt sein Konterfei gleich dreimal in der Ausstellung. «Die Art, wie Attila Herendi den Charakter eines Menschen mit allen Facetten auf das Papier zu bannen vermochte und dazu in seiner typischen Handschrift ein paar tiefgründige Zeilen zur Person schrieb, war einzigartig», bekundet Hiss, «und sie wird es immer bleiben.»