Freskenkapelle
Der verborgene Kunstschatz von Birmenstorf

Beim Abriss der alten Kirche vor 80 Jahren wurden einzigartige Bilder vor der Zerstörung gerettet.

Andreas Fahrländer
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Aus dem Osten kommt das Licht: Die gotischen Spitzbogenfenster stellen die Auferstehung dar. Darüber die Kreuzigung Jesu – links davon teilt der heilige Martin seinen Mantel, rechts tötet der heilige Georg den Drachen. Alex Spichale

Aus dem Osten kommt das Licht: Die gotischen Spitzbogenfenster stellen die Auferstehung dar. Darüber die Kreuzigung Jesu – links davon teilt der heilige Martin seinen Mantel, rechts tötet der heilige Georg den Drachen. Alex Spichale

Alex Spichale

Die Glocken der katholischen Kirche in Birmenstorf läuten drei Uhr. Hier drin in der Freskenkapelle ist es still, das Läuten dringt nur schwach durch die dicken alten Mauern. «Es ist zwar ein besinnlicher Ort, an dem man gut zur Ruhe kommen kann», sagt der Historiker Patrick Zehnder. «Aber man ist nie einsam hier», fügt er an und schmunzelt. Er meint die Reihe von Propheten, Aposteln und Heiligen, die auf die Besucher in der Friedhofskapelle hinabblicken.

Es gleicht einem Wunder, dass der kostbare Freskenzyklus aus dem Jahr 1440 erhalten ist. Die Fresken sind ein Überrest aus der alten, paritätischen Kirche von Birmenstorf, die vor gut 80 Jahren abgerissen wurde. Im Dorf lebten seit der Reformationszeit Katholiken und Reformierte Seite an Seite. Man teilte sich die Pfarrkirche St. Leodegar, aber es kam immer wieder zu Reibereien zwischen den beiden Gemeinden. Um 1930 entschieden sich deshalb die Birmenstorfer, zwei neue Kirchen zu bauen und die alte abzubrechen.

Ein dramatischer Aufruf

Nach der Weihung der neuen Gotteshäuser ging es schnell: Im Winter 1937 wurde der Turm abgetragen, im Frühjahr das Kirchenschiff. Per Zufall entdeckte man dabei unter dem dicken Verputz im Chor die alten Fresken. Patrick Zehnder hat die Ereignisse im Kunstführer «Die drei Kirchen von Birmenstorf» der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte festgehalten. Nach der Entdeckung der Fresken wurde ein Notdach über das Kirchenschiff gezogen.

Es folgte ein dramatischer Aufruf in der Aargauer Presse nach Spenden zur Rettung der Fresken. Das gesammelte Geld und die Unterstützung von Bund und Kanton reichten, um den Freskenzyklus zu restaurieren und aus dem ehemaligen Chor der Kirche eine Friedhofskapelle zu schaffen. Nicht zuletzt zur Rettung der Fresken wurde 1938 auch die Vereinigung für Heimatkunde des Bezirks Baden gegründet. Seit damals steht die Freskenkapelle, wie sie mittlerweile genannt wird, unter eidgenössischem Denkmalschutz. 1995 wurde sie zuletzt saniert.

In der oberen Bilderreihe sind zwölf Propheten mit Spruchbändern aus dem Alten Testament abgebildet. In der unteren Reihe stehen die zwölf Apostel und vier Heilige. An der Ostwand, wo die Sonne aufgeht und ein dreigliedriges Spitzbogenfenster die Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung symbolisiert, sieht man die Kreuzigung Jesu, den heiligen Martin und den heiligen Georg.

Künstler aus Königsfelden

In der nachträglich eingefügten Fensternische an der Südwand ist zudem der Kirchenpatron Leodegar als Bischof von Autun zu sehen. «Wie die abgebrochenen Räume der alten Kirche ausgemalt waren, weiss man heute nicht mehr», erklärt Zehnder. «Die geretteten Fresken suchen aber weitherum ihresgleichen.»

Vermutlich wurden die spätgotischen Bilder von denselben Künstlern gemalt, von denen eine Christusdarstellung in der Klosterkirche Königsfelden stimmt. Birmenstorf war im Mittelalter Besitz des Klosters. Die Anfänge der Pfarrkirche reichten bis ins 12. Jahrhundert zurück. Das weiss man, weil der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux im Dezember 1146, während des Zweiten Kreuzzugs, mit seinem Gefolge in der Birmenstorfer Kirche übernachtete – das ist schriftlich überliefert.

Im Sommer kühl, im Winter kalt

Die farbenfrohe Freskenkapelle ist notabene von Männern dominiert: Die einzigen beiden dargestellten Frauen sind die Muttergottes in der Karfreitagsszene und eine Prinzessin, die auf Knien betend dem heiligen Georg zuschaut, wie er mit dem Drachen kämpft. «Vermutlich ist sie eine Allegorie der Ecclesia», sagt Zehnder, «ein Sinnbild für die Kirche.»

Bemerkenswert für eine Landkirche ist auch das sehr modern wirkende Würfelmuster auf Augenhöhe der Gläubigen. Die Kapelle ist bis heute geweiht. Sie ist ein besinnlicher – im Sommer angenehm kühler und im Winter ziemlich kalter – Ort. Heizung gibt es wegen der alten Fresken keine. «Hin und wieder findet hier eine Taufe oder ein Gottesdienst statt», sagt Zehnder. «Aber meistens ist man mit den Heiligen allein.»