Der Badener Max Lienert (70) sass im Zug der Rhätischen Bahn, der bei Tiefencastel in Graubünden entgleiste. Jetzt schildert er das Unglück, das er unverletzt überstand.
Knapp 24 Stunden sind vergangen seit dem Zugunglück bei Tiefencastel GR, das der Badener Max Lienert (70) unverletzt überstanden hat. Er steht zu Hause in der Küche und bäckt Gipfeli, als er mit der az spricht. «Ich habe sehr gut geschlafen, legte mich gestern Nacht mit einem Gefühl grosser Erleichterung ins Bett. Ich hätte ursprünglich früher zu Hause sein wollen, aber unter diesen Umständen spielte das überhaupt keine Rolle mehr.»
Am Mittwoch, kurz nach 12.30 Uhr, war ein Zug der Rhätischen Bahn von St. Moritz nach Chur auf einen Erdrutsch aufgefahren. Dabei entgleisten gemäss Polizeiangaben drei Zugwagen. Der erste Waggon hinter der Lokomotive stürzte einen steilen Abhang hinunter, der zweite Waggon blieb halb über dem Abgrund schwebend hängen. In diesem sass Lienert, der von den Ferien in Bergün auf dem Weg nach Hause war, nach Baden, wo er seit 1974 lebt. «Ich habe halb gelesen, halb aus dem Fenster geschaut auf der Fahrt, als der Zug brüsk stoppte», sagt er.
«Ich glaubte, er sei wohl in einen Steinhaufen oder Baumstamm hineingefahren. Danach rumpelte es, unser Wagen wurde geschüttelt und ich merkte, wie er langsam aus den Schienen gehoben wurde – und sich in Richtung Abhang bewegte.» Der Waggon habe still in der Luft gehangen, und Lienert ging der Gedanke durch den Kopf: «Hoffentlich fallen wir nicht hinunter.» Doch der Waggon verharrte in der Position. Erstaunlicherweise seien die Passagiere ruhig geblieben. «Wir liefen geordnet zur Tür, es gab kein Gedränge. In diesem Moment gab es keinen Platz für Angst. Wir wollten einfach raus aus dem Zug, liefen zum Waggonende, öffneten die Tür und stiegen hinaus.»
Aufgefallen sei ihm, wie gut die Rettungskräfte organisiert waren; sie hätten richtig reagiert und sich zuerst um die Personen im Waggon gekümmert, der den Abhang hinuntergestürzt war. «Meine Gedanken sind bei jenen, die verletzt wurden», sagt Lienert.
Mit dem Bus fuhr Lienert schliesslich nach Chur – und von dort mit dem Zug nach Hause. Ein unangenehmer Moment, wieder in den Zug zu steigen? «Nein, im Gegenteil, ich habe mich erleichtert gefühlt, als ich im Zug zurück nach Hause sass. Ich sagte zu mir: Du hast grosses Glück gehabt!»