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«Die Gläser im Schrank wackeln»: Auspuff-Lärm ärgert viele Aargauer – Lärmliga fordert Messfallen

Die Nerven wegen Autolärms liegen nicht nur in Baden blank — auch Bewohner anderer Gemeinden klagen über heulende Auspuffe. Die Lärmliga Schweiz setzt sich für neue Lösungen ein.

Claudia Laube
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Nicht nur in Baden und Wettingen schlägt unnötiger Autolärm den Menschen aufs Gemüt, sondern auch in Gemeinden wie Ehrendingen, Würenlingen oder Bad Zurzach. Viele Anwohner, die an Durchfahrtsstrassen wohnen, fühlen sich je länger je mehr gestört, wie aus den Reaktionen zu den AZ-Artikeln der letzten Wochen zu entnehmen ist. Eine Würenlingerin schreibt von «gut organisierten Jugendgangs, die sich gegenseitig dröhnend messen». Und die Polizei wisse davon.

Nicht nur für die Stadtpolizei Baden, sondern auch für die Gemeinde Würenlingen ist das nichts Neues: «Uns ist der Hotspot an der Siggenthaler Strasse natürlich auch bekannt», sagt Gemeindeammann André Zoppi (FDP) dazu. Am Gesprächsapéro, den die Gemeinde regelmässig für die Einwohner organisiert, gäbe es immer wieder Wortmeldungen von durch übermässigen Autolärm genervten Anwohnern. «Auch beim letzten Apéro im September war das ein Thema», so Zoppi. Die Gemeinde arbeite eng mit der Stadtpolizei Baden zusammen, die auch für Würenlingen zuständig ist. Diese hätte ihre Präsenz erhöht und auch nachts vermehrt kontrolliert. Seit dem Unfall nach einem Raserrennen im August mit einer schwer verletzten Person habe er aber den Eindruck, dass sich alles etwas beruhigt hätte.

Raserunfall von Würenlingen
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Das Ende der Raserfahrt für einen 19-Jährigen.
Das Ende der Raserfahrt für einen 19-Jährigen.
Spurensicherung nach dem Unfall. Das Auto der unschuldig beteiligten Lenkerin nach dem Aufprall.
Spurensicherung nach dem Unfall an der Industriestrasse.
Unter dieser Brücke bei der Coop-Tankstelle in Würenlingen versammeln sich öfters Autofans. Auch die Unfallfahrer waren hier.
Unschuldig in den Raserunfall verwickelt: Eine Mazda-Lenkerin und zwei Insassen.
Industriestrasse: Von der Unterführung aus soll die Raserfahrt begonnen haben.
Die Strasse führt gerade aus Richtung Bahnhof Würenlingen.

Raserunfall von Würenlingen

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In Ehrendingen sei vor allem die Strasse in Richtung Freienwil sehr beliebt, um Gas zu geben, schreibt ein Anwohner der AZ. Nicht selten werde dabei dann noch der Klappenauspuff geöffnet, was «in unserem Haus die Gläser im Schrank wackeln lässt». Er hat selbst ein Video aufgenommen und der Gemeinde und der Polizei zur Verfügung gestellt. Aus Angst vor Repressalien möchte er es aber ansonsten nicht veröffentlicht sehen. «Ich habe auch schon einen der Verursacher gefragt, ob dieser Lärm denn nötig sei. Er wurde daraufhin sehr aggressiv», erzählt der Ehrendinger. Viele machen aus Angst die Faust im Sack.

Unklare Gesetzeslage

Autonummern aufschreiben oder ein Video zu machen und der Polizei zu schicken, reicht nicht als Beweismittel. «Da warten wir noch ein Urteil des Bundesgerichts ab, wie weit solche Videos überhaupt verwertbar sind», erklärt Peter Ettler, Rechtsanwalt und Präsident der Lärmliga Schweiz. «Das Problem bei einem solchen Video ist, dass es kaum möglich ist, den Lärmpegel zu messen und den Lärm auch noch dem richtigen Fahrzeug zuzuordnen.» Ausserdem müssen mindestens zwei Personen bestätigen, dass Auspuffklappen betätigt wurden. «Und am Ende gilt man auch noch als Bürger, der einfach einen schlechten Tag hatte», fügt er hinzu. Ettler findet, dass es nicht an den Anwohnern sei, die Fehlbaren zu verzeigen: «Wir sind keine Polizisten!»

Die Lärmliga habe immer wieder Anfragen von Personen, die wissen wollen, was sie zum Beispiel gegen ihren Nachbarn unternehmen können, der jeden Morgen um 6 Uhr in der Früh mit seinem Sportwagen und offener Auspuffklappe losfahre. Eine Anzeige wollen sie nicht erstatten, um es mit dem Nachbarn nicht zu verscherzen. «Wir können da nur zum Gespräch raten», so Ettler. «Doch unsere Erfahrung zeigt leider, wer in einem Quartier regelmässig mit offenen Auspuffklappen losfährt, ist meistens sowieso ein rücksichtsloser Mensch», weshalb solche Gespräche nicht fruchten würden.

Einsatz für Lärmgeplagte

Die Lärmliga Schweiz ist auf den Einfluss von Lärm auf die Gesundheit fokussiert und packt das Thema politisch an. «Mit einer langfristigen Strategie wollen wir die Menschen und die Politik für Verkehrslärm sensibilisieren und die Lärmbelastung senken», so Ettler. Mit einer «Strategie der leisen Strasse» will die Lärmliga an sieben verschiedenen Punkten ansetzen, darunter lärmarme Beläge, leise Fahrzeuge und Temporeduktionen. Gegen «Krachmacher», die in bewohnten Gebieten Lärm über 80 Dezibel erzeugen, sollen Lärm-Messfallen analog den bekannten «Blitzkästen» aufgestellt werden. «Es gibt auf dem Markt bereits Komponenten für solche Anlagen. Diese müssten nur noch intelligent zusammengefügt und ‹gerichtsfest› gemacht werden.» Der Verursacher des Klappenexzesses müsse einwandfrei identifiziert werden können, sagt Ettler.

Dass sich in Sachen Klappenauspuffe in naher Zukunft etwas ändern wird, daran glaubt er nicht: «Der freie Handel mit Autos und Autobestandteilen ist europaweit durch verschiedene Vertragswerke geschützt, in der Schweiz durch das Gesetz über die technischen Handelshemmnisse und mit der EU durch die bilateralen Verträge.» Wenn die Gesundheit der Menschen gefährdet ist, dürften diese «Krachmacher» jedoch verboten werden, so Ettler

Dieser Nachweis sei mit der im letzten Jahr publizierten «Sirene-Studie» inzwischen erbracht, findet er. Laut der Studie verursachen andauernde Lärmbelastungen jährlich 500 Lärmtote. Dies, weil «Menschen an verkehrsreichen Strassen mit typischen Lärmbelastungen ein um 15 bis 20 Prozent erhöhtes Risiko haben, Herz- und Kreislaufkrankheiten zu erleiden oder an einem Herzinfarkt zu sterben.» Deshalb fordert die Lärmliga, dass die Schweiz Auspuffklappen verbietet. Doch Ettler hat wenig Hoffnung: «Mit der heutigen Zusammensetzung von Bundes- und Nationalrat ist das kaum möglich.»