Neuenhof
Die IV-Rente wurde der kosovarischen Familie zum Verhängnis

74 Ja, 86 Nein, 31 Enthaltungen. Ein kurzes Raunen ging durch die Menschenmenge, als in Neuenhof einer gut integrierten Familie die Einbürgerung verwehrt wurde. Der Vater der Familie ist IV-Rentner. Die Familie glaubt, dass dies den Ausschlag gab.

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Die kosovarische Familie wohnt ist in Neuenhof bestens integriert.

Die kosovarische Familie wohnt ist in Neuenhof bestens integriert.

«Auszählen», befahl Gemeindeammann Walter Benz bereits bei Traktandum 13d, der Einbürgerung einer serbischen Frau und ihrer beiden Söhne. Dass der Ehemann in Serbien wohnt und nicht am Einbürgerungsverfahren beteiligt war, schien Widerstand ausgelöst zu haben. Mit 93 Ja bei 65 Nein und 22 Enthaltungen schafften die drei jedoch die Hürde.

Und dann ein kurzes Raunen

«Auszählen» hiess es auch beim Traktandum 13e, der Familie Rrafshi. Die Eltern der kosovarischen Familie sind seit über 20 Jahren in der Schweiz; sie verbrachten ihre Jugendzeit hier und sind bestens integriert. Der älteste Sohn besucht die Primarschule, die beiden anderen Kinder sind noch nicht schulpflichtig. Die Mutter arbeitet seit rund 15 Jahren im Pflegeberuf, seit 2004 als Pflegeassistentin im Pflegezentrum in Kloten. Der Vater bezieht seit 2004 eine IV-Rente und ist zu 100 Prozent arbeitsunfähig.

«74 Ja, 86 Nein, 31 Enthaltungen», verkündete Walter Benz. Keine Diskussion, keine Wortmeldung. Auch keine Vorbehalte, die vor der Versammlung laut geworden wären. Für zwei, drei Sekunden ging ein leises Raunen durch die Reihen in der Turnhalle. Es hörte sich an, als wäre man sich nicht mehr ganz sicher, ob es richtig war, hier ein Exempel zu statuieren.

Grosse Niedergeschlagenheit

«Ich wusste erst gar nicht, was geschehen ist», erzählt Bukurije Rrafshi am andern Morgen. Die Mutter und Ehefrau war alleine an die Versammlung gegangen. Es sei gewesen, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht erhalten. «Ich kann das einfach nicht verstehen», sagt sie ratlos. Sie hätte das nie erwartet. Man habe ja alle Gespräche, alle Anforderungen des bald zweijährigen Einbürgerungsverfahrens bestens erfüllt. «Wir haben hier unser soziales Netz, wir sprechen besser Schweizerdeutsch als manch andere Eingebürgerte», sagt sie. Ihren Ehemann, der sehr krank sei, habe es besonders getroffen, so Rrafshi: «Er glaubt, er sei daran schuld.»

Gemeindeammann Walter Benz war ziemlich ratlos. Er vermutet, dass die Nein-Stimmen dem IV-Bezüger gegolten haben. Raffaele Briamonte, Gemeindeschreiber-Stellvertreter, erklärt dazu: «Die Anforderungen für eine Einbürgerung sind hoch. Zuerst führen wir auf der Kanzlei Vorgespräche, dann prüft die Einbürgerungskommission die Gesuchsteller im Gespräch. Die Finanz- und Geschäftsprüfungskommission prüft die Anträge nochmals. Erst dann entscheidet der Gemeinderat. Es kommt also kein Gesuch vor die Gemeindeversammlung, hinter dem nicht alle prüfenden Stellen stehen können.»

«Fall Böttstein»: Gesetzeswidrig

Der kosovarischen Familie wird der Entscheid schriftlich zugestellt. Sie kann ihn innert 30 Tagen beim Regierungsrat anfechten. Böttstein hatte 2004 eine Einbürgerung ohne Begründung abgelehnt; das Bundesgericht korrigierte den Entscheid. Laut Verfassungsrecht ist die Einbürgerung kein politischer, sondern ein Verwaltungsakt, auch wenn er von der Gmeind gefällt wird. Eine Ablehnung muss begründet sein. Es besteht das Gleichheitsgebot: Willkür und Diskriminierung sind verboten - IV-Rente kann kein Ablehnungsgrund sein. Dass damit der politische Einfluss der Gmeind eingeschränkt wird, kritisiert insbesondere die SVP.