Der Spoken-Word-Poet Simon Libsig (39) schreibt nach «Leichtes Kribbeln» zurzeit an seinem zweiten Roman. Seine Kolumne erscheint immer am ersten Donnerstag im Monat. Heute geht es über Menschen und Maschinen.
Freddy Heimgartner schlurfte durch das Grossraumbüro. Schon zum fünften Mal an diesem Morgen besuchte er seine mit Abstand beste Mitarbeiterin, ganz hinten links. Magnifica. Eine dunkle Schönheit aus Italien. Vollautomatisch, duftete immer gut, schnurrte wie ein Kätzchen. Freddy Heimgartner liebte sie. Diese Kaffeemaschine war die Erste und die Letzte, mit der er ein paar Worte wechselte, wenn er morgens ins Büro kam und abends wieder ging. «Ciao Bella», sagte er manchmal und sie «Trester leeren». Er mochte diese kühle, fast kaltschnäuzige Art. «Bohnen nachfüllen.» Das war kein Wischiwaschi-Rumgesülze, wie es ihm von seinen Teamleitern nur allzu oft entgegenkam, das war eine klare Ansage. Unmissverständlich. Dominant. «Entkalken!»
Magnificas Worte waren Freddy Heimgartner Befehl. Und er führte ihn mit Freuden aus. Das war Chefsache! Da liess er alles stehen und liegen. Da konnte er problemlos ein Meeting verschieben oder einen Lunch mit seiner Frau absagen. Magnifica hatte oberste Priorität. Es galt, sie unter allen Umständen zufriedenzustellen. Auf alle ihre Mätzchen einzugehen. Wenn sie sich beispielsweise immer noch länger und noch länger aufwärmen wollte oder nach Wasser verlangte, obwohl da ganz klar noch welches war. Logisch war das zeitintensiv. Und Freddy Heimgartner war schon mehr als einmal weinend über der Bedienungsanleitung zusammengebrochen. Aber er hatte keine Wahl. Magnifica bei Laune zu halten, betrachtete er als seine wichtigste Führungsaufgabe. Denn wenn sich diese Diva dazu entschied, zu streiken, legte sie den ganzen Betrieb lahm.
Da konnte man zusehen, wie der Arbeitswille seiner Leute kleiner und kleiner wurde und sich schliesslich vollständig aufzulösen schien wie ein Stück Zucker im Kaffee. Weigerte sich Magnifica, ihren Job zu machen, kriegte Freddy Heimgartners Assistentin Kopfschmerzen, die Sitzungen wurden noch ineffizienter, und die Grafik- und IT-Abteilung fielen in kollektiven Tiefschlaf. Magnifica hatte sich in den letzten fünf Jahren eine derart wichtige Position erarbeitet, alle waren von ihr abhängig. Denn Magnifica kannte ihre Vorlieben. Sie wusste, wie sie die Wünsche aller 120 Mitarbeitenden erfüllen konnte. Das war irgendwie in ihr abgespeichert! Dieses Talent hatte sie. CEO Freddy Heimgartner machte sich nichts vor. Er selber konnte jederzeit ersetzt werden. Die Kaffeemaschine nicht.