Spreitenbach
Die letzte Gemeinde im Aargau beugt sich dem Abfall-Diktat des Kantons

Als letzte Gemeinde im Aargau führt Spreitenbach Gebühren für Kehrichtsäcke ein – gestern türmten sich deshalb im ganzen Dorf die Gratissäcke.

Claudia Laube
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Bis zu 30 Prozent mehr Abfall wurde in Spreitenbach in den letzten Wochen gesammelt. So sah es gestern an vielen Orten aus.

Bis zu 30 Prozent mehr Abfall wurde in Spreitenbach in den letzten Wochen gesammelt. So sah es gestern an vielen Orten aus.

Claudia Laube

Das Dorfbild von Spreitenbach war gestern geprägt von ausserordentlich vielen schwarzen Abfallsäcken, überquellenden grünen Containern und dazugestelltem Sperrgut. Der letzte Tag, an dem das alte Abfallreglement noch wirksam war, wurde ausgiebig genutzt.

Bis gestern war in Spreitenbach die Abfallgebühr pauschal über die Wohnungsgrösse abgerechnet worden, was den Einwohnern erlaubte, ihren Abfall in einfachen schwarzen Abfallsäcken auf die Strasse zu stellen.

Heute, am 1. Oktober 2019, bricht für die Gemeinde und ihre Einwohner eine neue Ära an; das neue Abfallreglement tritt in Kraft. Als letzte Gemeinde im Kanton gibt es nun auch in Spreitenbach Sackgebühren.

Lange hatten die Einwohner aufbegehrt und dreimal dagegen gestimmt – man befürchtete vermehrtes Littering, also vermehrtes unsachgemässes Entsorgen von Müll. Im November 2018 dann, im vierten Anlauf, der Durchbruch: Wenn auch eher widerwillig, mit 90 Ja- zu 70 Nein-Stimmen, wurde dem neuen Reglement knapp zugestimmt.

Die Einwohner hatten sich damit doch noch dem Druck des Kantons gebeugt, der von allen Gemeinden verlangt, die Abfallentsorgung durch eine verursachergerechte Finanzierung zu regeln.

Wer aber gestern durch Spreitenbach lief oder fuhr, gewann schon fast den Eindruck, hier würde die von der Gemeinde organisierte Müllabfuhr ganz allgemein abgeschafft – als gäbe es nur noch diesen einen Tag, an dem sie für die Entsorgung sorgt.

Eine Einwohnerin stand vor dem überdimensionierten Abfallberg hinter dem Einkaufsladen «Spar» und konnte nur den Kopf schütteln: «Das ist doch einfach unglaublich», enervierte sie sich.

Nicht nur den Anblick der ungewohnten Menge an Abfall konnte sie kaum fassen, sondern auch, wie viele Dinge hingestellt wurden, die die Müllabfuhr normalerweise gar nicht erst mitnimmt.

Vier statt zwei Müllwagen

«Aktuell finden wir gut 25 bis 30 Prozent mehr Abfälle in Containern und auf den Strassen als sonst», erklärt Viktor Ott, Bereichsleiter Tiefbau und Entsorgung der Spreitenbacher Gemeindewerke.

Ausserdem wurde in den letzten drei Wochen bei der Sperrgutsammelstelle im Werkhof das Doppelte der normalen Menge entgegengenommen. Die Einwohner konnten ihr Sperrgut hier ein letztes Mal entsorgen, die Sammelstelle hat ihren Dienst am Montag eingestellt.

Am vergangenen Wochenende standen die Menschen noch einmal Schlange. «Auf den Ansturm am letzten Wochenende waren wir natürlich vorbereitet», sagt Ott. «Aber nicht darauf, dass alles schon viel früher anfangen würde.»

So sei der Werkhof am Montag vor zwei Wochen völlig überrannt worden. «Danach haben wir uns sogleich mit mehr Mitarbeitern und Mulden ausgerüstet. Ab dann hatten wir alles im Griff.»

Für die Angestellten der Gemeindewerke waren die letzten Wochen intensiv und anstrengend. Und die Firma Obrist, die die Müllabfuhr in Spreitenbach zweimal wöchentlich durchführt, hatte gestern vier statt normal zwei Müllwagen im Einsatz.

Ott rechnet zudem damit, dass künftig in Spreitenbach kommen wird, was in Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern wie Wettingen oder Baden bereits üblich ist: Tägliche Fahrten mit einem «Wägeli», um illegal in öffentlichen Abfallkübeln deponierte Abfälle einzusammeln: «Diese Touren werden wir ausbauen müssen.»

Seit dem 5. September können die Einwohner bei den lokalen Lebensmittelgeschäften weisse Abfallsäcke für 1.90 (35 l) oder 3.20 Franken (60 l) beziehen. Der Verkauf sei gut angelaufen, sagt Ott.

Die Farbe Weiss wurde nicht nur gewählt, weil es die günstigste in der Produktion ist – farbige Säcke kosten etwas mehr –, sondern auch, um sich von den Nachbargemeinden wie Dietikon mit blauen und Neuenhof mit gelben Abfallsäcken einfacher unterscheiden zu können.

Seit heute Dienstag werden nur noch diese weissen Säcke mit dem Spreitenbacher Aufdruck mitgenommen. Ott rechnet vor allem im Oktober noch mit einigen schwarzen Säcken: «Doch die werden wir konsequent stehenlassen.»

Jeder Grundeigentümer müsse darum besorgt sein, dass die Abfälle korrekt entsorgt werden. Und wenn schwarze Abfallsäcke auf Gemeindegrund zurückgelassen und auch Tage später noch nicht weggeräumt seien, dann würden diese Säcke geöffnet und nach Adressen überprüft. Für Menschen, die ihren Abfall nicht korrekt entsorgen, und das mutwillig, kann das bis zu 2000 Franken kosten.

Viktor Ott schaut zuversichtlich in die nahe Zukunft. Die Unmengen an Abfall, die in den letzten Wochen zusammengekommen sei, zeige ihm vor allem eines, erklärt er: «Dass die meisten Einwohner inzwischen erfahren haben, dass es in Spreitenbach ein neues Abfallreglement gibt.»

So waren im Vorfeld in alle Haushalte Flyer verteilt worden, die vor allem mittels Symbolen auf das neue Reglement aufmerksam gemacht hatten und wie die Einwohner in Zukunft ihren Abfall handhaben müssen. «Bilder sprechen eine deutlichere Sprache», so Ott.