Anne Marie Höchli ist Badenerin durch und durch. Sie war erste Einwohnerratspräsidentin und Vorkämpferin für die Sache der Frauen - ohne ein Aufheben daraus zu machen.
Anne Marie Höchlis Haus liegt etwas versteckt am Kreuzlibergsteig in Baden. Als wir den Weg zu ihr gefunden haben, begrüsst sie uns herzlich. Unten braust der Verkehr über die nahe Mellingerstrasse, hier oben im Haus ist es erstaunlich still. Auf dem Nussbaumsekretär im Wohnzimmer stehen kostbare Ausgaben von Dumas und Diderot. Es duftet nach frischem Kaffee.
Anne Marie Höchli wird am 8. März 95 Jahre alt. Sie wirkt trotz ihres Alters kein bisschen müde. Dabei blickt sie auf ein ereignisreiches Leben zurück, von dem sie gerne erzählt. «Ich habe jede Menge Zeit», sagt sie und schmunzelt. In vielen Belangen war Anne Marie Höchli-Zen Ruffinen Pionierin. Sie war eine der ersten Frauen im Badener Einwohnerrat und war seine erste Präsidentin.
Als Gründungsmitglied des Staatsbürgerlichen Verbands katholischer Schweizerinnen engagierte sie sich für das Frauenstimmrecht und die Gleichberechtigung. Sie war zehn Jahre lang Präsidentin des Katholischen Frauenbunds Baden und zwölf Jahre Zentralpräsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds. Sie war die erste Badener Kirchgemeindepräsidentin und bekam 1985 als erste Frau die Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Universität Freiburg.
Um ihre Rolle als Vorkämpferin für die Gleichberechtigung macht sie kein Aufheben. Sie erzählt, wie sie 1923 im Haus ihres Grossvaters Johann Biland am Kreuzliberg geboren wurde, nur einen Steinwurf von ihrem eigenen Haus, in dem sie bis heute wohnt. Ihr Vater, der Ingenieur Paul Zen Ruffinen, kam als junger Mann aus dem Wallis über das Studium an der ETH Zürich nach Baden. Er blieb der Liebe wegen und heiratete Ida Biland. Anne Marie wuchs mit einem Zwillingsbruder, einem jüngeren Bruder und einer Schwester auf.
Abgesehen von der Studienzeit an der Uni Lausanne und einigen Monaten als Lehrerin in der Westschweiz und in Vaduz hat Anne Marie Höchli immer am Fuss des Kreuzlibergs gelebt. Sie besuchte die Schulen in Baden, zuerst im Ländli, dann die Bezirksschule an der Burghalde. «Ich bin gerne zur Schule gegangen. In der Bez hatten wir eine blutjunge Lehrerin, Lina Hitz», erzählt Anne Marie Höchli. «Sie hat mir imponiert, wie sie so selbstbewusst vor der Klasse stand. Da dachte ich, das möchte ich auch machen.»
Sie besuchte nach der Bezirksschule das Lehrerinnenseminar in Aarau. Sie pendelte mit dem Zug, oft mit der Nationalbahn, die quasi vor der Haustüre am Bahnhof Oberstadt hielt. Sie habe Aarau immer sehr schön gefunden. Die Abneigung der Badener gegen die Kantonshauptstadt verstehe sie nicht. «Als Seminaristin in Aarau dachte ich, die müssen in Baden gar nicht so tun mit ihrer Fasnacht», sagt sie und lacht.
Dabei ist Anne Marie Höchli Badenerin durch und durch. «Baden hat mir auch immer gut gefallen.» Sie spricht es aus mit einem langen A, wie es alteingesessene Badener sagen. Sie erinnert sich auch, wie sie während des Zweiten Weltkriegs als Jugendliche mit ihren Geschwistern in der «Blume» im Bäderquartier baden durfte, weil der Strom und die Heizung eingeschränkt waren. Die Kriegszeit sei nicht leicht gewesen, der Vater war im Grenzregiment am Rhein stationiert. «Die Rationierung war hart», sagt sie. «Aber wir haben es überlebt.»
Als junge Lehrerin dann, die fliessend Französisch und Italienisch sprach, fand sie eine Anstellung bei einem deutschen Grafen, der im Krieg aus Ostdeutschland vertrieben wurde und sich in Liechtenstein niederliess. Als Hauslehrerin für seine Kinder war sie nach dem Krieg mit der Grafenfamilie drei Monate im italienischen Pallanza, wo sie in einem leerstehenden Hotel wohnten. «Ich war die Einzige, die Italienisch sprach», erzählt sie. «Das war eine schöne Zeit.»
Später unterrichtete sie zwei Jahre in Baldingen. Dort führte sie alleine die Gesamtschule: über 40 Kinder von der 1. bis zur 8. Klasse. «Ich wohnte im Pfarrhaus und durfte am Nachmittag in der Kirche Orgel spielen. Damit ging ein Traum in Erfüllung.» Es sei eine gute Zeit gewesen. Sie unterrichtete einige Zeit in Mägenwil und in Birmenstorf – bis zu ihrer Hochzeit.
Als sie den Juristen Josef Höchli kennen lernte, der in Baden Gerichtsschreiber war, heirateten sie bald. «Er war meine grosse Liebe», sagt sie. Sie habe sich immer viele Kinder gewünscht. Es wurden fünf: drei Söhne und zwei Töchter. Heute hat sie zwölf Enkelkinder und vier Urenkel. Ihr Mann Josef (sie spricht es französisch aus) ist vor 27 Jahren gestorben. Aber sie sei dankbar und glücklich, dass sie es so gut miteinander gehabt hätten. Und sie sagt: «Mein Mann hat mich stets in meinen Anliegen unterstützt. Ich habe mich ja auf die Äste hinausgewagt.»
Anne Marie Höchli hat sich als gläubige Katholikin dafür starkgemacht, dass auch Frauen ordiniert werden in der katholischen Kirche. «Das haben viele nicht gern gehört.» Aber es gebe so viele gute Theologinnen, die ihre Arbeit genauso gut machen wie die Männer. «Es schadet nichts, wenn etwas Feminismus dabei ist.» Es gehe nicht darum, dass die Frauen den Männern überlegen seien. Aber sie könnten andere Sichtweisen und andere Beweggründe einbringen.
1972 wurden Anne Marie Höchli, Ingrid Zwimpfer und Elisabeth Reinle als erste Frauen in den neu geschaffenen, fünfzigköpfigen Einwohnerrat der Stadt Baden gewählt. 1980/81 war sie die erste Frau, die den Rat präsidierte. In der CVP-Fraktion gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Ratspräsidium zwischen dem späteren Stadtammann Sepp Bürge und ihr.
Peter Conrad senior hat sich als Fraktionspräsident damals mit Stichentscheid für sie entschieden. «Nicht weil ich etwas gegen Sepp Bürge hatte, sondern weil ich fand, dass es Zeit war für eine Frau», wie er sagt. Conrad findet nur lobende Worte für Anne Marie Höchli: «Sie ist eine hochintelligente Frau und konnte als Einwohnerrätin ihre Meinung hervorragend kundtun.» Sie habe sich gewandt auf der politischen Ebene bewegt. «Und sie ist eine Frau mit Schalk und Humor», sagt Conrad.
Für die Stadt Baden ist Anne Marie Höchli eine prägende Figur. Heute gehe sie kaum noch in die Stadt, sagt sie. Wenn, dann mit dem Taxi. In der Weiten Gasse begrüsse sie den Stadtturm. «Das ist der feste Anker, der uns zusammenhält.» Sie kenne kaum mehr Leute in der Stadt. «Und niemand kennt mich. Das ist das Alter.»
Auch zum Kirchplatz und zur Stadtkirche habe sie eine enge Beziehung. Als Kind habe sie gesehen, wie die Sonne auf eine ganz bestimmte Stelle im Chor scheint. Sie lächelt zufrieden und sagt: «Das ist bis heute so und es freut mich immer noch, wenn ich es sehe.»