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Eine junge Frau stiehlt in der Region Baden Portemonnaies, meldet Kreditkarten auf falsche Namen an – und lebt damit luxuriös in Zürich. Vom Bezirksgericht Baden wird sie zu 28 Monaten Haft verurteilt.
Als Denise (alle Namen von der Redaktion geändert) von zwei Polizisten in den Badener Gerichtssaal geführt wird, klappert die Kette der Fussfessel an ihren hohen Absatzschuhen. Die 27-Jährige könnte eine Influencerin sein: schicke Bluse, schwarzer Rock, die blonden Ombré-Haare zu einem Zopf gebunden. Nur die blaue Einwegmaske scheint nicht auf ihren Stil abgestimmt.
Nach sieben Monaten in Untersuchungshaft muss sie sich unter anderem wegen neunfachen gewerbsmässigen Diebstahls und siebenfachen gewerbsmässigen Kreditkartenbetrugs vor dem Badener Bezirksgericht verantworten.
Denise kam vor fünf Jahren in die Schweiz. Sie hatte sich zwar zur Krankenschwester ausbilden lassen, arbeitete allerdings nie in diesem Beruf. In der Schweiz tingelt sie von Kanton zu Kanton, wohnt in Hotels, arbeitet kurzzeitig in der Gastrobranche und in Produktionsfirmen. Ein Besuch in Deutschland endet in einem Strafverfahren wegen Diebstahls und Beamtenbeleidigung. Doch daran habe sie keine Erinnerung mehr, sie sei betrunken gewesen. So will sie auch bei den Diebstählen in der Schweiz betrunken gewesen sein, die ab November 2019 begannen. «Für das betrunkene Ich hatte das Gesetz keine Bedeutung, die Hemmschwelle sank. Klauen und Stehlen hat mich damals einfach gereizt.»
Mitte November 2019 entwendete Denise das Portemonnaie von Marigona. Marigona beteuert, es haben sich 1100 Franken darin befunden, gemäss Denise sollen es «keine 100 Franken» gewesen sein. Im Portemonnaie fand Denise auch den Ausländerausweis von Marigona. Diesen nutzte sie, um bei zwei Kreditkarteninstituten in Zürich und Lugano Kreditkarten auf Marigonas Namen zu bestellen.
Die Kreditkarten sowie die zugehörigen PIN-Codes wurden separat verschickt. Denise fuhr also zur Wohnung von Marigona, um ihr die Post zu klauen. Sie hatte Glück und kam so an eine Kreditkarte samt PIN. Damit bezog die junge Frau Bargeld in Tausenderbeträgen und ging in Spreitenbach und Baden shoppen und essen, bis die Globallimite von 6000 Franken nach rund zwei Wochen aufgebraucht war.
Anfang 2020 startete sie eine Diebstahlserie. Sie ging immer nach derselben Masche vor: In mehreren Verkaufsgeschäften in der Region Baden ging sie unbefugt in die Mitarbeiterräumlichkeiten und entwendete die Portemonnaies von Mitarbeiterinnen. In zwei Tagen beklaute sie so vier Personen.
Denise nutzte die gestohlenen Debitkarten zum Einkauf − kleinere Beträge konnte sie schliesslich mit der Kontaktlos-Funktion auch ohne Eingabe der PIN bezahlen. Mehr als 700 Franken gab sie auf diese Weise aus. Sie stoppte erst, als die Polizei sie aus dem Verkehr zog: Sie war mehrfach ohne Führerausweis Auto gefahren, man hatte ihn ihr wegen Trunkenheit am Steuer entzogen.
Bis Mitte April befand sich Denise in Untersuchungshaft. Sie wurde mitten im Chaos des ersten Lockdowns auf freien Fuss gesetzt. Zur selben Zeit erhielt sie die Diagnose Gebärmutterhalskrebs. Ihr kriminelles Spiel ging von vorne los: Auf einer Datingplattform lernte sie Dilara kennen, welche sie zum Essen einlud. Während des Essens kopierte sie Dilaras Pass, mit welchem sie später wieder drei Kreditkarten beantragen sollte. Diesmal nutzte sie die Kreditkarten für Coiffeurbesuche, zum Shopping bei Zalando und für ein Facelifting − in zwei Wochen gab sie so fast 10'000 Franken aus.
In jener Zeit war sie in Deutschland und der Schweiz zur Haft ausgeschrieben. Zwei Kantonspolizisten griffen sie eines Nachts betrunken und zugekokst («Ich hatte immer Distanz zu Drogen und in dieser Nacht zum ersten Mal Kokain konsumiert») in Zürich auf. Sie wehrte sich vehement gegen die Verhaftung; trat einem der beiden Polizisten wiederholt gegen das Schienbein und mit ihren Absätzen gegen die Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs, bis diese zerbrach. Nach nur einem Monat auf freiem Fuss sass sie erneut in Sicherheitshaft.
Die letzten zehn Monate hätten sie «stark geprägt», erklärt Denise vor Gericht der Richterin Gabriella Fehr. «In der Vergangenheit war ich unüberlegt und leichtsinnig. So will ich aber nicht weiterleben.» Eine «letzte Chance», um ihr Leben geradezubiegen, will ihre Anwältin ihr gewähren. Unter anderem macht sie die Kreditkarteninstitute für den Betrug mitverantwortlich, da diese die Identität der Antragstellerin nicht sorgfältig genug geprüft hätten. Sie plädiert auf eine elfmonatige, bedingte Haftstrafe, eine Geldstrafe von 1200 Franken, 400 Franken Busse sowie das Bezahlen der Entschädigungen für Diebstahl und Sachbeschädigung.
Das Gericht um Gabriella Fehr lässt sich allerdings nicht umstimmen: Denise wird zu 28 Monaten Haft verurteilt − nur zwei Monate weniger als von der Staatsanwältin gefordert. Hinzu kommt eine 100-Franken-Busse, welche einem Tag länger in Haft entspricht, sowie die finanziellen Entschädigungen für die Geschädigten.
Ausserdem wird die Angeklagte nach der Haft für sieben Jahre des Landes verwiesen. «Geldstrafen haben bisher nichts bewirkt in ihrem Leben, das haben sie mehrfach bewiesen», begründet Fehr das Urteil. Nach der Urteilsverkündung lässt sich Denise in den Stuhl fallen, starrt auf den Tisch vor sich und weint leise in ihre Maske.