Überwindung des Kapitalismus und teilweise Abschaffung des Privateigentums: Die SP befindet sich in einem Richtungsstreit. Bekannte Sozialdemokraten aus der Region grenzen sich von Linksideologen ab.
Von einem Aufstand der rechten Sozialdemokraten ist die Rede: Dem gemässigten Parteiflügel um die Obersiggenthaler Ständerätin Pascale Bruderer und den Zürcher Nationalrat Daniel Jositsch geht der Linkskurs der Partei zu weit. Sie haben «eine Plattform für eine reformorientierte SP» gegründet – für Mitglieder, die sich durch den pointierten klassenkämpferischen Linkskurs nicht angesprochen und ungenügend vertreten fühlen.
Auslöser war der Parteitag in Thun Anfang Dezember: Das Positionspapier zur Wirtschaftsdemokratie, das die Überwindung des Kapitalismus konkretisieren soll, wurde von den Delegierten angenommen, der Rückweisungsantrag von Bruderer blieb chancenlos. Zudem schaffte es beinahe die Juso-Forderung ins Wirtschaftspapier, wonach Privateigentum auf Produktionsgüter abzuschaffen sei.
Zu den ersten Unterstützerinnen von Bruderers Ideen gehörte die Wettinger Nationalrätin Yvonne Feri: «Ich war schon immer gegen die Überwindung des Kapitalismus.» Zwei weitere prominente Lokalpolitiker aus der Region Baden wehren sich auf der Website der neuen Plattform gegen den linksideologischen Kurs.
Pius Graf, Gemeindeammann in der SP-Hochburg Ennetbaden, lässt sich dort folgendermassen zitieren: «Die SP sollte endlich begreifen, dass sich die heutige Arbeiterschaft mit der Globalisierung und Digitalisierung geändert hat.»
Ein grosser Teil der Arbeitnehmenden befinde sich in Dienstleistungsbereichen wie der Finanz- und Versicherungsbranche, grossen Logistik- und Zulieferbetrieben sowie der Informatik und Telekommunikation. «Sowohl diese Arbeitnehmenden als auch KMU wählen immer weniger SP. Wir sollten darauf realisierbare und in der Sprache verständliche Antworten haben», so Pius Graf. Viele Ennetbadener SP-Wähler dürften die Ansichten Grafs teilen – die Gemeinde zählt gemessen am durchschnittlichen steuerbaren Einkommen zu den reichsten im Kanton.
Auch die Badener Stadträtin Regula Dell’Anno hat sich der Gruppierung um Pascale Bruderer angeschlossen. «Ich erlebe es regelmässig, dass der SP insbesondere in Wirtschaftsfragen – meines Erachtens oft zu Recht – Realitätsferne vorgeworfen wird. Wir sollten nur versprechen und fordern, was in unserer Gesellschaft machbar ist», sagt sie. Als Exekutivmitglied sei sie der Lösungsfindung verpflichtet. «Und die umsetzbaren Lösungen sind oft nicht gleich wie die Visionen und Ideale, die im Rahmen des Parteibuchs definiert werden.»
Der Ruf, ein gemässigter Pragmatiker zu sein, hat sozialdemokratischen Politikern bei Exekutiv-Ambitionen schon oft geholfen. So lancierte die amtierende Bundesrätin Simonetta Sommaruga einst ihr Gurten-Manifest für eine liberale und migrationskritische Neuausrichtung. Auch für Pascale Bruderer gelte «Bundesratswahlverdacht», titelte der «Tages-Anzeiger» vergangene Woche. Analog dazu könnte im Fall von Regula Dell’Anno ein «Stadtammannwahlverdacht» geäussert werden. Denn die Parteileitung der SP Baden schliesst nicht aus, einen Kandidaten oder eine Kandidatin gegen Amtshinhaber Geri Müller (Grüne/Team Baden) ins Rennen zu schicken.