Christina Gläser bemüht sich in Rio de Janeiro um ein positives Bild der Schweiz. Die Badenerin ist Projektleiterin von «Präsenz Schweiz», zuständig für den offiziellen eidgenössischen Auftritt in Brasilien bis zu den Olympischen Spielen im 2016.
Beschaulich mutet es an, das Schweizer Konsulat in Rio de Janeiro. Es liegt unscheinbar zwischen Wohnhochhäusern auf einer sich schlängelnden Strasse mit viel Grün, hangaufwärts zwischen dem Meer und dem «Morro de Santa Teresa», dem malerischen Altstadtquartier auf einem der vielen Berge Rios. Der Nachmittag ist ruhig, die Schalteröffnungszeiten des Konsulats bereits vorüber. Am Empfang trifft man nur auf zwei Sicherheitsmänner.
«Ich habe einen Termin bei Frau Gläser», sage ich ehrfürchtig, erwarte von meinem kräftigen Gegenüber im schwarzen Anzug eine ernste Antwort. Er hingegen lächelt freundlich. «Ah, bei Christina!», sagt er gut gelaunt. Nichts von ernster Security-Miene, vielmehr brasilianische Lockerheit. Ich entschuldige mich noch für meinen Auftritt – ich habe Flipflops und kurze Hosen an, es ist heiss draussen. «Kein Problem, in Rio ist das normal», sagt der Mann. Er macht einen kurzen Anruf und verweist mich dann auf den Lift. «Nur zu, elfter Stock, Türe links. Dort hat sie ihr Büro.»
Oben angekommen, empfängt mich meine Interviewpartnerin. «Wir kennen uns», sagt sie: Christina Gläser, Politologin und Marketing-Spezialistin, als Projektleiterin von «Präsenz Schweiz» zuständig für den offiziellen eidgenössischen Auftritt in Brasilien bis zu den Olympischen Spielen im nächsten Jahr. Sie ist aber vor allem auch eine Badenerin – und in Baden kennt man sich ja –, zudem eine Jahrgangs-Kollegin aus der Kanti. Die Welt ist klein, die Wege kreuzen sich.
Das Gespräch wird rasch informell. Wieder denke ich: brasilianisch halt. «Ich fühle mich beiden Kulturen verbunden», sagt Gläser, «der brasilianischen wie der schweizerischen». Die Brücke zu schlagen zwischen den beiden Ländern, fällt ihr leicht. Auch die Verbindung von Professionalität und informellem Umgang beim Interview. «Hier in Brasilien geht die Kommunikation im ersten Schritt weitgehend über die Sympathie», sagt die 30-jährige Badenerin. «Wir Schweizer sind da viel rationaler.»
Brasilien kennt Christina Gläser, seit sie ein Kind war. Oder: Es wurde ihr förmlich in die Wiege gelegt. «Meine Eltern lebten vier Jahre lang in Curitiba, bevor ich auf die Welt kam», erzählt sie. In Mandirituba, unweit von Curitiba, liegt heute das Badener Hilfswerk Abai. Ihre Mutter, Rita Gläser, ist heute noch für die Öffentlichkeitsarbeit in der Schweiz zuständig.
Von klein auf war Christina Gläser immer wieder in Brasilien in den Ferien. «Das Land hat mich extrem angezogen», sagt sie. Nach ihrem Studium in Genf entschloss sie sich, nach Brasilien zu gehen, «um die Sprache richtig zu lernen». Das war 2008. Sie kam später zurück in die Schweiz, arbeitete bei IWC in Schaffhausen im Marketing-Bereich. Dann war es die Liebe zu einem Brasilianer, die sie in das tropische Land zurückbrachte. «Das musste wohl so sein», sagt sie. Heute sind die beiden verheiratet.
Dass sie sowohl in der Schweiz wie auch in Brasilien verankert ist, machte Gläser interessant für Schweizer Firmen mit Niederlassungen in Brasilien. So wurde die Zürcher Kunstinstitution Daros auf sie aufmerksam. Diese geht auf die Kunstsammelaktivitäten der Familiendynastie Schmidheiny zurück, die unter anderem im Aargau das Zementwerk Holcim besitzt. Im Jahr 2000 gründete Ruth Schmidheiny die «Daros Latin America», die sich dem Aufbau und der Pflege der weltweit grössten Sammlung zeitgenössischer Kunst aus Lateinamerika widmet. «Nach Jahren in Zürich wollte Ruth Schmidheiny eine Plattform für die Kunstobjekte in Lateinamerika schaffen», sagt Christina Gläser. «Sie brauchten jemanden, der vor Ort im Marketing tätig sein könnte und die Schweizer Vision in das historische Museum von Rio bringen kann. Da kam ich ins Spiel.»
Unter Mitwirkung von Christina Gläser wurde im März 2013 die «Casa Daros» in Rio de Janeiro eröffnet, in einem restaurierten, neoklassizistischen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. «Ich konnte die Sprache und hatte das nötige Verständnis und Wissen, um mit Brasilianern zu kommunizieren und zu arbeiten», sagt Christina Gläser. Worauf kommt es denn an in Brasilien? «Für einen Schweizer kann es sehr anstrengend sein hier zu arbeiten. Man braucht viel Geduld und Flexibilität.» Die Dinge bräuchten allgemein lange, würden oft verzögert, nicht selten bis zur letzten Minute. «Am Schluss klappt es aber immer irgendwie.» Gesehen habe man dies zuletzt bei der Organisation der Fussball-WM, in der unter anderem die Stadien erst kurz vor Turnierbeginn fertig wurden. «Das war wieder typisch», sagt sie und führt aus: «Hier in Brasilien ist das einfach so. Es schlägt 5 vor 12 und man denkt: Das wird nicht funktionieren. Und dann klappt es dennoch.»
Gleichzeitig schätzt Gläser den Optimismus und die Flexibilität der Brasilianer, die «in der Schweizer Kultur undenkbar wäre». Es komme auf den richtigen Mix an, sagt sie.
Jetzt ist Christina Gläser vom Bund angestellt, bis nach den Olympischen Sommerspielen 2016 als Projektleiterin von «Präsenz Schweiz», der Landeskommunikation des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). «Ein absoluter Traumjob», schwärmt sie. Ihre Aufgabe: Sie soll das Image der Schweiz in Brasilien verbessern – oder die Schweiz dort überhaupt erst bekannt machen. Einer Umfrage des Bundes zufolge können über die Hälfte der Brasilianer nichts sagen über unser Land. «Die Schweiz hat ein distanziertes, verschlossenes Image», sagt Christina Gläser. Um dieses zu öffnen, führt der Bund für acht Millionen Franken ein dreijähriges Werbeprogramm in Brasilien durch. Es trägt den Namen «Swissando».
Der erste Auftritt fand letztes Jahr während der Fussball-WM statt. Christina Gläser und ihr Team kreierten eine Fan-Zone namens «Baixo Suíça», das «House of Switzerland» an der WM. Sie stellten es auf an der Lagune von Rio de Janeiro – einer der schönsten Ecken der Stadt, zwischen grünen Bergen und nur 15 Minuten zu Fuss von der berühmten Copacabana entfernt, wo das offizielle Public Viewing der Fifa stand.
Das «Baixo Suíça» bestand aus einem hölzernen Bergchalet, geschmückt mit aufgehängten Kuhglocken und Schafffellen. Als Tische dienten riesige Holzschlitten, gegenüber auf dem Rasen grasten grosse, künstliche Kühe vor dem beschaulichen Panorama Rios mit Bergen und Lagune – eine Aussicht, die von einer typisch schweizerischen Kulisse nicht weit entfernt war. «Dieser See mit den Bergen im Hintergrund – das war wie eine kleine Schweiz mitten in Rio», sagt Christina Gläser.
Für sie war es ein tolles Sinnbild dafür, wie die Schweiz und Brasilien neben den vielen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten haben. Darum sei es bei «Baixo Suíça» auch gegangen. «Wir wollten einerseits die Schweiz präsentieren, andererseits auch eine Fusion der beiden Länder vollbringen.»
Die gängigen Schweiz-Klischees wurden auf unterhaltsame Weise bedient, etwa durch eine überdimensionale Schneekugel, die man von innen betreten konnte, oder durch Töggelikasten, die statt kleiner Fussballerfiguren mit hölzernen Mini-Kühen ausgestattet waren. Die Fusion Schweiz–Brasilien wurde vor allem kulinarisch umgesetzt: Brasilianische Spezialitäten wurden serviert neben Würsten, Raclette oder Rösti, zubereitet vom Schweizer Koch Chris Züger, der schon im House of Switzerland an den Olympischen Spielen in Sotschi am Werk war.
Als Geheimtipp gedacht, zog das «Baixo Suíça» rasch einige Besucher an: Über 240 000 Personen kamen während des WM-Monats dort vorbei, 3000 Zuschauer waren es gemäss Christina Gläser beim letzten Match der Schweizer Nationalmannschaft gegen Argentinien. Die Grossleinwand des «Baixo Suíça», auf der die WM-Spiele gezeigt wurden, wurde schon fast zur Konkurrenz zum Fifa-Public-Viewing – wenn nicht besser: Die lokale Zeitung «O Globo» wählte das «Baixo Suíça» zum besten Public Viewing der WM.
«Das ‹Baixo Suíça› kam bei den Brasilianern sehr gut an», sagt Christina Gläser. «Zwei Drittel der brasilianischen Besucher sagten, das ‹Baixo Suiça› habe ihr Bild von der Schweiz positiv verändert.» Auch die Auslandschweizer gaben sich entzückt, in Rio einem kleinen Stück Heimat begegnet zu sein. «Ich habe gar nicht gewusst, dass es so viele Schweizer gibt in Rio», sagt Christina Gläser. Diese seien vor allem stolz gewesen auf das «Baixo Suíça». Unter ihnen war auch der Chef von Novartis Brasil. «Er kam auf mich zu und sagte: ‹Hier wurde jeder Rappen vom Bund richtig investiert.›»
2015 geht die Swissness in Brasilien weiter – und damit auch die Arbeit der Badenerin Christina Gläser. Am Karneval in zwei Wochen wird die Samba-Schule Unidos da Tijuca ganz im Schweiz-Sujet auftreten (die az berichtete). Wieder soll dort neben Klischees auch ein urbanes und technologisch innovatives Image der Schweiz gezeigt werden. Dieses Vorhaben wird unterstrichen durch das bereits anlaufende Projekt «Swissnex», das den wissenschaftlichen Austausch zwischen der Schweiz und Brasilien fördern soll.
Der Auftrag des Bundes ist klar: Die Schweiz investiert im strategischen Markt Brasilien und wittert auch künftige brasilianische Touristen. In den letzten zehn Jahren verdoppelte sich gemäss Schweiz Tourismus die Anzahl Hotellogiernächte von Brasilianern in der Schweiz, die Tendenz zeige weiterhin nach oben. «Brasilien ist in einem sehr spannenden Moment seiner Geschichte und hat nach wie vor Potenzial», sagt Christina Gläser.
Abgeschlossen wird das dreijährige Programm 2016 an den Olympischen Spielen. Das «Baixo Suíça» kehrt nach Rio zurück und trumpft noch grösser auf: Es wird auch die Heimstätte für die Schweizer Athleten und fürs Schweizer Fernsehen werden. Verantwortlich sein wird weiterhin Christina Gläser, die inzwischen offizielle Brücke zwischen der Schweiz und Brasilien. Doch vor lauter internationaler Tätigkeit in ihrer Wahlheimat: Vermisst sie Baden überhaupt noch? «Ja, natürlich», sagt sie. Vor allem ihre Familie und ihre Freunde, von denen aber auch schon einige in Rio bei ihr zu Besuch waren. «Ich habe immerhin das Glück, in einer Stadt zu wohnen, die viele kennen lernen möchten.» Und auch wenn ihr viele sagen, sie sei inzwischen mehr Brasilianerin als Schweizerin, sagt sie: «Nach Baden zurückzukommen – das ist immer ein extrem schöner Moment für mich.»