Arco, ein Sakerfalke, vermag seinen Meister Karl Meier seit fünf Jahren jeden Tag aufs Neue zu faszinieren. Der Vogel gehöre heute zur Familie, sagt Meier. Er hat wünscht sich einen zweiten Vogel, einen Wanderfalken.
«Seine kraftvollen Flügelschläge. Die Wendigkeit und das ungeheure Tempo beim Jagen. Wie er sich bei Aufwind in die Lüfte hochschraubt. Das kurze Innehalten in der Luft bei einer steilen Kurve: Es ist gewaltig, gar extrem eindrücklich, einen Greifvogel beim Fliegen zu beobachten», schwärmt Karl Meier, dem es selber im Flugzeug schnell unwohl wird. Falkner Meier und Arco, der elfeinhalbjährige Sakerfalke, sind seit fünf Jahren ein Team.
Schnell spürt man die leidenschaftliche Begeisterung Meiers für sein aussergewöhnliches Hobby. Er beschäftigt sich jeden Tag mindestens eine Stunde mit dem Falken. «Wir haben schon so viel Zeit miteinander verbracht, schon so viel erlebt, wir sind ein eingespieltes Team.»
Kein gelernter Jäger
Karl Meier vermisst seien Gefährten und sorgt sich um ihn, wenn er ihn zum Beispiel wegen Ferien nicht zu Gesicht bekommt. «Für Arco ist unsere Beziehung allerdings vor
allem eine Zweckgemeinschaft. Wir jagen zusammen. Und er weiss, dass er mit mir erfolgreich zu Futter kommt.»
Wildtiere zu verfolgen, habe Arco allerdings nie gelernt, da er in den ersten sieben Jahren seines Lebens nie zum Jagen angehalten worden sei. Wenn er heute ausfliegt, stürzt er sich eifrig auf das Federspiel, einen Köder, der an einem Lederseil durch die Luft geschwungen wird. Nach der erfolgreichen Jagd wird Arco mit einem Taubenflügel oder einer Entenbrust belohnt.
Arco gehört zur Familie
«Keine zwei Ausflüge sind gleich», fügt Meier an. «Manchmal zeigt Arco gar kein Interesse am Federspiel. Dann fliegt er ein paar Minuten gemütlich durch die Luft und lässt sich auf einer Baumkrone nieder. Oder aber, er stürzt sich auf den Köder und lässt nicht locker.»
Um mit einem Falken ausfliegen zu können, braucht man heute die Jagdprüfung, eine Falknerprüfung und die Einwilligung der lokalen Jagdvereine.
Karl Meier lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Wettingen. «Im erweiterten Sinn gehört Arco auch zur Familie», sagt Meier und deutet auf die Stange im Wohnzimmer, auf der der Falke gelegentlich das bunte Treiben am Esstisch beobachten kann. Allerdings sei der Vogel nicht gerne im selben Raum mit vielen Menschen. «Er ist schon sehr auf mich fixiert», sagt Meier.
Tatsächlich: Noch ehe der Falkner das Reich seines Jagdpartners, eine eigens gebaute Holzhütte im Garten mit Zugang zu einem Aussengehege, betritt, erkennt ihn dieser und stösst einen Begrüssungsruf aus. Es tönt sanft und erfreut.
Augen mit Lederkappe verdeckt
Der erste Blick auf den Falken mag irritieren - es sieht so aus, als hätte er einen Helm auf. Im Fachjargon nennt man das verhaubt. Rund eine Viertelstunde vor dem Ausflie-
gen verdeckt Karl Meier jeweils die Augen des Falken mit einer Lederkappe. Dies ist nötig, damit das Tier auf dem Spaziergang zur Flugwiese ruhig tragen lässt und ob den vielen Hunden, Katzen und Autos nicht erschrickt oder gar flüchtet.
Auf der Flugwiese angekommen, nimmt Meier dem stolzen Tier die Haube ab - man sieht das erste Mal seine Augen. Aus der Ferne wirken sie schwarz wie Pech und, im Verhältnis zum Rest des Kopfes, fast unwirklich riesig. Wer sich näher wagt, kann eine grosse Pupille von dem dunkelbraunen Iris-Ring unterscheiden. Falken sehen siebenmal besser als Menschen.
Sie erspähen ihre Beute mit scharfem Blick und töten sie mit einem Biss in den Nacken oder in den Schädel. Dafür haben sie den spitz nach unten gebogenen Schnabel und den Falkenzahn, eine messerscharfe Ecke am Oberschnabel.
Mit Wellensittichen angefangen
Bevor der Falkner zum Falken fand, hatte er englische Wellensittiche gezüchtet. «Vögel haben mich schon immer fasziniert», erklärt Meier, der als Kind versucht hat, Spatzen zu zähmen. Vor rund fünf Jahren hat er Norman Vögeli, den Falkner von Malbun, kennengelernt. Die stolzen Greifvögel zogen Meier vom ersten Augenblick an in ihren Bann. «Mit einem Falken zu arbeiten ist ungeheuer spannend», erklärt Meier seine Leidenschaft. Im Wesen bleibe der Vogel immer ein Wildtier, das sich niemals so unterwürfig an einen Menschen bindet wie beispielsweise ein Hund. Es erfüllte sich einen Traum, als Meier von einem Sakerfalken Wind bekam, der ein neues Zuhause suchte.
Bevor der Falke zum Falkner fand, wurde er sieben Jahre in einer Voliere gehalten. Richtig ausgeflogen ist er in dieser Zeit nicht ein einziges Mal. Karl Meier ist überzeugt: «Mit
einem Greifvogel muss gearbeitet werden. Seine ganze Kraft und Eleganz sieht man erst beim Ausflug in der Natur.»
Landung auf Meiers Faust
Dies zeigt sich, sobald das stolze Tier majestätisch durch die Luft fliegt. Seine ungeheure Schnelligkeit, die Kraft in den Schwingen, seine Wendigkeit im Flug haben etwas unwillkürlich Faszinierendes an sich. Fast instinktiv zollt der Beobachter dem Falken Respekt und Bewunderung, wenn er pfeilschnell an ihm vorbeischiesst.
Nach dem Flug sitzt das stolze Tier entspannt auf Meiers Faust. Das bedeutet nicht, dass der Falkner seine Finger verkrampft hätte, sondern, dass seine Hand mit dem Falkner-Handschuh aus robustem Leder geschützt ist.
Karl Meier wünscht sich einen zweiten Vogel, einen Wanderfalken. Diesen möchte er zur Beizjagd ausbilden. So nennt man die Jagd mit einem Greifvogel auf Wildtiere. «Falken erbeuten je nach Grösse und Art kleine Säugetiere, Vögel oder grosse Insekten», erklärt Meier und fährt dem stolzen Vogel ab und zu liebevoll durch das Brustgefieder.
Und dann, urplötzlich und während Meier sein grosses Wissen über Greifvögel preisgibt, dreht Arco den Kopf kurzerhand um 180 Grad, niest sanft und blickt ins Tal. Es ist Zeit für den Nachhauseweg.