Bezirksgericht Baden
Duo wollte mit Spielzeugpistole eine Bank überfallen – dort wartete schon die Polizei

Eine alleinerziehende Mutter rekrutierte einen jungen Obdachlosen, um zusammen eine Bank zu überfallen. Dabei ging mehr als etwas schief. Am Mittwoch musste sich das Duo vor dem Bezirksgericht Baden verantworten.

Mario Fuchs
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Das Bezirksgericht Baden

Das Bezirksgericht Baden

Walter Schwager

Es war an einem Montag um 19 Uhr 20, als Adrian um sein Leben fürchtete. Heute sagt er: «Seit diesem Tag habe ich jedes Mal Panik, wenn es an der Haustür klingelt und ich niemanden erwarte.» Was war geschehen?

Adrian (alle Namen geändert), ein erfolgreicher Banker und junger Familienvater aus dem Ostaargau, leitet 2015 das Schalter-Team in einer Zürcher Grossbank-Filiale. An jenem Montag fährt er wie immer nach Schalterschluss nach Hause, geniesst den Abend mit Frau und Töchterchen. Was er nicht ahnt: In den letzten Monaten wurde er dabei beobachtet. Um welche Zeit er den Schalter schliesst. Durch welche Tür er die Bank verlässt. Wie er in der Tiefgarage ins Auto steigt.

Rita, 56, eine alleinerziehende Mutter und verschuldete Sozialhilfebezügerin aus Zürich, kundschaftet die Bank seit September aus. Sie notiert sich Adrians Autonummer, fragt im Online-Autoindex seine Privatadresse ab. Fährt zweimal zu seiner Wohnung im Aargau, «um Kenntnis von der Lage und der Umgebung zu erlangen», wie es in der Anklageschrift heisst. Rita braucht Geld, um die Privatschule ihres Sohnes zu finanzieren.

Weil dieser einseitig hochbegabt ist, soll er zwar die Matur absolvieren, aber die britische, bei der man offenbar auf Naturwissenschaften verzichten kann. «Ich habe alles versucht, um private Stipendien zu erhalten», berichtet Rita gestern verzweifelt vor dem Bezirksgericht Baden: «Aber im Schweizer Bildungssystem gibt es einfach keinen Platz für solche Kinder!»

Es fehlte nichts – nur der Mut

Ritas Lösungsansatz: ein Banküberfall. Sie beschafft sich eine Airsoft-Pistole, Modell CZ75 D Compact. In einen Rucksack packt sie Perücke, Hut, Sonnenbrille, Schal – damit sie nicht erkannt wird. In einen Plastiksack mit der Aufschrift eines Ladens für Raucher- und Kifferzubehör packt sie Kabelbinder, Klebeband, Schere – falls sie jemanden fesseln muss.

Doch um ihren Plan alleine in die Tat umzusetzen, fehlt ihr der Mut. Sie braucht Unterstützung.

Robi, 28, ein obdachloser, arbeitsloser Süchtiger aus dem Zürcher Hinterland, hält sich oft an der Langstrasse auf. Als er sechs Jahre alt war, fand sein Vater heraus, dass Robi nicht sein leiblicher Sohn ist.

Das bekam der Bub zu spüren: Peitschenhiebe, sexuelle Übergriffe, psychische Erniedrigung. Detailreich und unter Tränen schildert Robi vor Gericht seine leidvolle Kindheit.

Erst, als er 16-jährig ist, und der «Vater» ihn erstmals von Hand schlagen will, vermag sich Robi zu wehren: Mit dem Sturmgewehr aus dem Jungschützenkurs jagt er seinem Peiniger Angst ein. «Am liebsten hätte ich ihn erschossen», sagt Robi. Er tat es nicht. Kokain, Heroin und Wodka hielten ihn davon ab.

An jenem Montag im März 2015 gabelt Rita Robi an der Langstrasse auf. Auch sie war als Kind vom Vater sexuell missbraucht worden. Weil der obdachlose Robi auch gut etwas Geld gebrauchen könnte, und weil er an diesem Tag nach anderthalb Flaschen Wodka in Kombination mit Koks, Heroin, Methadon und Beruhigungsmitteln «so öppis vo tschüss» ist, bilden die zwei eine spontane Schicksalsgemeinschaft.

Sie fahren zu Adrian nach Hause und klingeln. Unter dem Vorwand, ein Paket abliefern zu müssen, gelangen sie in die Überbauung und zu Adrians Wohnungstür, zwingen Adrian mit der Waffe in sein Auto, fahren mit ihm zur Bankfiliale nach Zürich.

Gutachten werden eingeholt

Nur: Weil wegen eines anderen Alarms, der nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun hat, zufällig zwei Polizisten vor der Bank standen, verlässt sie der Mut auch zu zweit.

Sie zwingen Adrian, wieder zurückzufahren, steigen aus, suchen das Weite. Vor dem Gericht kommt es gestern zwar zu kleinen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft. Doch grundsätzlich streitet das Duo nichts ab.

Der Staatsanwalt fordert Freiheitsstrafen von 3 respektive 3,5 Jahren. Das Gericht entscheidet nach Anträgen der Verteidigung, dass vor der Klärung der Schuldfrage für beide Beschuldigten psychiatrische Gutachten eingeholt werden müssen.

Ein Urteil wird deshalb erst in einer zweiten Verhandlung gefällt werden. Rita und Robi entschuldigen sich schluchzend bei Adrian und seinen Angehörigen. Adrian blickt zu Boden, nickt verständnisvoll.