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Der tschetschenische Flüchtling Salam Isakov versuchte sein Glück an der Universität Zürich. Trotz Verständnisproblemen hat er das Schnuppersemester genossen. Wie es für ihn nun weitergeht, ist aber unklar
Die Cafeteria ist leer. Eine Mitarbeiterin wischt den Boden. Ferienzeit auch an der Uni Zürich. Salam Isakov, 37, dreifacher Vater, Flüchtling aus Tschetschenien, blickt auf sein erstes Semester zurück. Die letzten Monate war er Schnupperstudent, besuchte Vorlesungen in Rechtswissenschaften, das Fach, das er in seiner Heimat mit dem Bachelor abgeschlossen hat. Beim ersten Treffen im März fand er sich im Gewirr der vielen Unistandorte noch nicht ganz zurecht, nun wartet er bereits am vereinbarten Treffpunkt.
Bei einem Rivella Blau erzählt Isakov, wie gut ihm die Vorlesungen gefallen haben. Er schwärmt von der Bundesverfassung, die er zum besseren Verständnis auf Russisch übersetzt hat. «Hier sind alle gleich, Frau und Mann, Schweizer und Ausländer.» Ganz anders, als er es aus seiner alten Heimat Tschetschenien kennt. Versammlungsfreiheit, Meinungsäusserungsfreiheit, Folterverbot – die Vorlesung über Grundrechte hat ihm besonders Eindruck gemacht.
Er sagt aber auch: «Es war sehr schwierig.» Die Sprachhürde ist höher als gehofft. 40 bis 60 Prozent habe er verstanden, schätzt er. Die juristischen Fachbegriffe, die ihm nichts sagen, schreibt er auf, schlägt sie zu Hause nach. Stück für Stück will er nun vorwärtskommen und zuerst sein Deutsch weiter verbessern.
Dabei hilft ihm auch der Sport. Zweimal pro Woche gibt er beim FC Obersiggenthal Junioren Training. 15 Kindern – unter ihnen sein 11-jähriger Sohn – bringt er das Fussballspielen bei. Dreimal trainiert er selbst: Thaiboxen. Diesen Monat habe er seinen ersten Kampf, erzählt er.
Die Idee hinter dem Pilotprojekt der Uni Zürich: Flüchtlinge nehmen – unterstützt von Mentoren – als Gasthörer an den Vorlesungen teil, lernen den Studienalltag kennen, verbessern die Sprachkenntnisse. Schnuppern, mehr nicht. Dementsprechend werden auch keine Prüfungen abgelegt. Salam Isakov ist froh darum – «zu schwierig», sagt er. In naher Zukunft möchte er gerne an die Universität zurückkehren. «Ich habe sehr grosse Lust aufs Weiterstudieren.» Ob es bereits für eine Rückkehr im Herbstsemester reicht, ist offen.
«Aspekte» heisst das Lernbuch, das vor ihm auf dem Tisch liegt. Niveau: C1. Das Niveau, das er erreichen muss, um ein ordentliches Studium beginnen zu können. «Lernen, lernen, lernen», lautet sein Motto. Deshalb besucht er den Sommer über einen Intensivkurs. Tag für Tag.
Eine Umfrage bei den teilnehmenden Flüchtlingen nach dem ersten Semester hat ergeben: Die grössten Schwierigkeiten bereiteten ihnen das Kennenlernen neuer Leute – und die Sprache. «Ihre fachlichen Kenntnisse konnten die Schnupperstudierenden während des Frühlingssemesters jedoch nur minim vertiefen und verbessern», teilt die Medienbeauftragte Nathalie Huber auf Anfrage mit.
Dennoch ziehen die Verantwortlichen der Uni Zürich ein grundsätzlich positives Zwischenfazit. Die Befragung habe auch gezeigt, dass 70 Prozent der Schnupperstudenten weiterhin motiviert sind, an einer Universität zu studieren, und sich besser für ein Studium vorbereitet sehen. Etwa die Hälfte hat sich fürs zweite Semester wieder gemeldet. Wer einen Platz erhält, ist noch nicht entschieden. Fest steht: Das Angebot wird ausgebaut.
Die Zahl der Studienplätze wird von 20 auf 40 verdoppelt. 68 Flüchtlinge haben sich bislang darum beworben. Salam Isakov zählt nicht dazu. Die nächsten zwei Monate konzentriert er sich auf die anstehende Sprachprüfung. Lesen falle ihm schon deutlich leichter, sagt er. Nur selten nimmt er während des Gesprächs sein Smartphone zur Hand, um in der Übersetzungs-App ein Wort nachzuschlagen. Sorgen bereitet ihm das Hörverständnis, der anspruchsvollste Teil für ihn.
Im August wird er an einem Bewerbungs-Training teilnehmen. Einen Lebenslauf sollen die Teilnehmer mitbringen, steht im E-Mail, das er auf seinem Smartphone zeigt. Kein leichtes Unterfangen für Salam Isakov, dessen Leben seit seiner Kindheit vom Krieg in seiner Heimat geprägt war. Sein Studium der Rechtswissenschaften, das er wegen des blutigen Konflikts immer wieder unterbrechen musste, zog sich in die Länge. Er machte Praktika in einem Gefängnis, arbeitete als Taxifahrer in Grosny, doch längere Berufserfahrung kann er ansonsten nicht vorweisen.
Isakov würde am liebsten für ein Hilfswerk wie Caritas oder das Schweizerische Rote Kreuz arbeiten. Damit er anderen Menschen helfen kann, so wie ihm als Kind von Rotkreuzmitarbeitern geholfen worden ist. Das werde nicht leicht, ist sich der 37-Jährige bewusst, doch entmutigen lässt er sich nicht. Sein Ziel ist klar: Erst ein Studium, dann ein Job – «egal, wie schwierig es ist».
Hoffnung dürfte ihm die Meldung der Projektverantwortlichen machen: Eine Person, die das Schnuppersemester besucht hat, beginnt im Herbstsemester ein Vollzeit-Bachelorstudium an der Fachhochschule Nordwestschweiz.