Isabel Karajan eröffnet die neue Saison der Wettinger Kammerkonzerte mit einem denkwürdigen Abend. Das Motto "Insomnia" wurde perfekt umgesetzt.
Ganz schön frech ist dieses Menschenkind. Es wispert und röhrt; es stöhnt und verstummt vor dem Mikrofon; es erscheint auf der Leinwand in Form verwackelter Aufnahmen riesig, derweil es auf der Bühne leibhaftig und in zierlicher Gestalt vor einem steht: Eine Frau unbestimmbaren Alters mit blondem Haar und schwarzer, hautenger Kleidung. Ein Todesengel? Einer, der darauf wartet, dass ihm potenzielle Kandidaten auf den Leim gehen, um im rechtsseitigen, hell erleuchteten Geviert für immer zu verschwinden? Nein. Von Tod ist nicht die Rede, sondern von Liebe. Wie es sich damit verhält, singt und spricht Isabel Karajan in der Regie von Christina Pfrötschner vorerst im Prolog zu einer Produktion, deren Titel Shakespeare- und Mendelssohn-Fans auf den Plan ruft.
«Ein Sommernachtstraum» lesen wir und sogleich den Zusatz «geträumt von Isabel Karajan frei nach Shakespeare, geleitet von Eung-Gu Kim und Luisa Imorde (Klavier) nach Felix Mendelssohn-Bartholdy». Nach heisst in diesem Fall, dass einzelne Passagen des Theater-Textes als Assoziationsfläche dienen, um über die Liebe in ihren schönen, traurigen und komischen Facetten zu reflektieren. Am gesamten Personal der unvergleichlichen Komödie darf man sich nicht orientieren; an einer einzelnen Figur wie etwa Thisbe hingegen schon und damit auch an jene umwerfende Szene, in der Shakespeares Handwerker ein Stück proben und einer sogar eine Wand mimt.
«Wand», sagt Isabel Karajan wiederholt und jedes Mal erscheint dies als Hinweis, wie oft Liebe an eine Wand – der Missverständnisse – prallt. Darin hat die abgetakelte Unterhaltungskünstlerin, die Karajan spielt, Übung. Gerade deshalb zieht sie mit zwei Pianisten durch die Lande, um frisch Vermählten mit einem Shakespeare-Ständchen den Einstieg ins Eheleben zu versüssen. Mendelssohns «Sommernachts»-Musik gaukelt dazu schiere Leichtigkeit vor. Dass diese jedoch auch ihre dunklen Seiten hat, verdeutlichen die abrupten Unterbrüche der musikalischen Darbietung sowie Isabel Karajans schleppender Gang zum Flügel, in den sie hineinhorcht: Als ob sie überprüfen wollte, ob das, was sie den Vermählten über die Liebe erzählt hat, wirklich stimmt.
Ist das «Ein Sommernachtstraum» von Shakespeare? Nein – nach Shakespeare. Ein einfacher Abend ist diese Wort-Musik-Produktion nicht, aber ein denkwürdiger. Er lässt an einen Fiebertraum und damit an Schlaflosigkeit denken – und setzt so das Motto der Wettinger Kammerkonzerte 2015/16 «Insomnia» (Schlaflosigkeit) perfekt um.