Startseite
Aargau
Baden
Zum Gedenken an Attila Herendi. Der Badener Künstler ist letzte Woche im Alter von 84 Jahren verstorben.
Freund – von Anfang an. Das war sein Grund und Wesen: Attila Herendi kannte den Neuen noch gar nicht. Aber irgendwas war bereits gut am Neuen. Was an ihm gut sein sollte, wusste Attila da natürlich noch nicht genau, am ersten Tag. Aber er setzte Qualität von Anfang an voraus. Menschliche Qualität vorab. Dann fand er Menschen – schon am ersten Tag – «faszinierend» oder «wunderschön».
Menschen, die fasziniert sind von anderen, oft geradezu freudig und von Anfang an, sind natürlich selten. Gerade in einem Land, das Realismus und Pragmatismus für Grundtugenden hält. Und deshalb war das bei Attila Herendi nie, wirklich nie nur ein Anfang gewesen «unter der gebotenen Vorsicht»: Freundschaft bei ihm begann sofort – ohne je an ein Ende zu gelangen. Natürlich lag darin auch Überschwang, Enthusiasmus. Aber gibt es Freude am Tun und Lassen anderer Menschen wirklich auch nüchtern, so sec wie in der realistischen Welt?
Umso trauriger sind wir jetzt, da Attila gestorben ist. Aber wussten wir es nicht, besonders in den letzten Jahren? Vor allem im Gespräch mit Attila selbst: Wir wussten, dass jedes Leben an sein Ende gelangt. Und Attila vergewisserte das Gegenüber im Gespräch, dass es beim Leben bleibt. Er war, was man einen «Lebemann» nennt: Er wusste, wo ein gebratenes Stück Fleisch besonders gut schmeckte, welchen Wein man dazu trank. Aber er pochte nicht spiessig auf exquisiten Geschmack, um dann unfehlbar tödlich am Glück vorbeizusegeln – voller Genuss, tadellos, und dann bleibt nichts übrig, um zu leben.
Hauptsache bei Attila war etwas Anderes: die Atmosphäre, der Rahmen, das Vergnügen am Ganzen. Nennen wir es Stil – Attila nannte es «Aroma». Auf Stil achtete Attila tiefer, als manche glaubten. Ab einem gewissen Alter, sagte er einmal, habe er beschlossen, anderen den Anblick unbekleideter Partien seines Körpers nicht mehr zuzumuten. Trotzdem fand er gerade ältere Menschen oft «wunderschön». Weil aus manchen von ihnen Geist und Lebendigkeit sprühten, und der leibliche Kontrast wahrscheinlich so wunderbar klar des Lebens wahre Kraft offenlegte.
Natürlich begegnete man Attila Herendi in Baden, Wettingen und Umgebung auch ohne seine markante Gestalt. In seinen Werken, sei es Architektur, Graffito, Malerei. Seltsam präsenter aber blieb vor dem Geist, auch da, wo er gerade nicht entlang des Weges kam, Attilas hochgewachsene Figur im Promenadenmantel, mit diesen Foulards, dem unzeitgemäss eleganten Hut – zusammen eine Mischung aus Kurort-Oper, Kaffeehaus-Bohème, federleicht ergänzt mit einem Air transsilvanischen Pierrots. Extrovertiert gewiss, aber nie narzisstisch. Dandyhaft der grossen Linie nach, niemals aber geckenhaft oder gar komisch und grotesk.
«Stadtoriginal» – eigentlich liebevoll ihm zugeeignet, ist im Grunde eine Verniedlichung seiner Person, eine Kränkung – «Aufhübschung» hätte es Attila genannt, eine seiner verächtlichsten Qualifikationen. Noch schlimmer ist da nur noch die Bezeichnung «Paradiesvogel». Du meine Güte! Attilas Selbstbestimmung «realistischer Sozialist» durfte man doch nicht als blosse Koketterie verstehen, selbst dann nicht, wenn Attila selbst kokett zu diesem Missverständnis einlud. Furchtbar ernst nahm er nie etwas, ganz zuletzt eine Kunsttheorie oder politische Ideologie. Aber das bedeutete keineswegs, dass ihm alles ein Spiel gewesen wäre.
Eindrücklich war eben hinter oder um seine Gestalt Attilas Aura, sich die Dinge gut anzusehen und sich dazu ziemlich gründlich auch etwas zu überlegen. Jeder Art von Kunst, auch unterschiedlichsten Niveaus, widmete er seinen Zuspruch und Ernst. Attila im Gespräch war ein unerschöpflicher Quell an Einfällen, flüchtigem oder sattem Spott, plötzlichem Tiefgang wie Senkblei, was er mit Grazie sofort auch wieder auffangen und zum Ornament, zum Bonmot verwandeln konnte. Atilla war der Grandseigneur des gehobenen Stadtgesprächs, nicht sein Gegenstand (nicht nur), aber vermutlich sein Hauptrepräsentant. Ein Stadtzeuge in verlässlich durch die Jahrzehnte wandelnder Gestalt.
Baden bildet sich auf den örtlichen «Geist» einiges ein. Soll das nicht bloss eine Schimäre sein und bleiben, ein lokalfolkloristischer Mythos, müsste sich dieser Geist häufiger zeigen, sich verkörpern oder verkörpern lassen. Ihn ritualhaft zu beschwören, reicht nirgends hin. Ruft irgendjemand um Mitternacht durch die totenstille Wakkerstadt: «Bademer Geist, wo bist du? Zeige dich!» – nur vereinzelt träte hier und dort jemand aus dem Schatten. Aber einer wäre gewiss da: Attila Herendi, der «Wirtschaftsflüchtling», der gar nicht bleiben wollte, aber blieb. Jetzt, wo er nicht mehr unter uns geht, uns nicht mehr mit grosser Geste auf der Gasse umarmt, zur Verblüffung aller Provinzler, jetzt müssen wir Attila gleichwohl nicht rufen im Dunkel. Realisten sehen es nicht, Lebensenthusiasten aber jederzeit: Da, nein hier! Attila ist da.