Für eine Kleinstadt ist Baden definitiv verwöhnt. Am Festival «One Of A Million» bekam man ein komplettes Klangmenu serviert. Sich alle Konzerte anzuschauen, ist eine Herausforderung. Am Sonntag dafür aufzustehen aber eindeutig lohnenswert.
Jedes Mal, wenn das Musikfestival «One Of A Million» anfangs Februar die verschiedenen Räume der Stadt für seine Konzerte in Beschlag nimmt, muss man sich von Neuem eingestehen: Für eine Kleinstadt ist Baden definitiv verwöhnt. Nicht nur, was die vielen prachtvollen Lokalitäten betrifft, deren Existenz man sonst während des Jahres vergisst: Dass so viele Musiker aus so vielen Ecken der Welt für einen Auftritt hierher pilgern, ist ein Privileg – und zwar ein beidseitiges, gilt das Festival doch unterdessen als kleiner Geheimtipp.
Die Musiker haben Freunde an den beschaulichen Spielstätten, die Festivalbesuchenden danken es ihnen mit viel Aufmerksamkeit für die an den Tageskonzerten meist leisen, detailreichen Klängen. Am Abend hingegen, da steht laute Party auf dem Programm. Gefeiert wird in der Stanzerei bis spät und so überrascht es, dass sich einige am nächsten Morgen doch noch für die vielen Stadtkonzerte aufraffen. Wie ist das, wenn man nach einer durchfeierten Nacht am Sonntagmorgen schon wieder auf Konzerttour geht?
Der Tag beginnt in der Villa Langmatt. Der Weg zum grossen Ausstellungssaal, wo das Konzert stattfindet, führt an den impressionistischen Bildern von Renoir vorbei. Die stets eindrücklichen Räume des Museums werden zur Festivalkulisse. Im grossen Ausstellungssaal, in dem die Bilder aber leider abgehängt sind, spielt die zierliche, kongolesisch-französische Musikerin Gasandji. «Die, die das Bewusstsein weckt», bedeutet ihr Name und entsprechend führt sie durch ihren Auftritt. «Was ist eure Mission hier?», fragt sie dem Publikum. Niemand sei zufällig auf der Welt, alles habe seinen Grund, sagt sie und offenbart ihr schönes, wenn auch vielleicht utopisches Credo.
Im abgedunkelten Saal spielt die sympathische Dame mit ihrer Gitarre bedachte, anmutige Töne. Ihre Musik ist sehr introspektiv, handelt unter anderem davon, wie man sich erlauben sollte, der Mensch zu sein, den man ist. «Mein Vater wollte nicht, dass ich Musikerin werde», erzählt sie. Mit 14 Jahren ging sie nach Frankreich in ein Internat, tanzte später Choreografien bei bekannten Hip-Hop-Acts wie MC Solaar oder IAM. Sie studierte Jazz, trat einem Gospelchor bei und verwirklichte sich ihren Traum, Musik zu machen.
Entsprechend ermutigt sie das Badener Publikum, das eigene Selbst zu befreien. Der spirituelle Start in den Morgen fand seine Vollendung mit dem mehrstimmigen Summen des traumversunkenen Publikums, das Gasandji als Hintergrundchor diente. Die Musikerin war sichtlich entzückt, bedankte sich herzlich und liess ihr Konzert auch länger dauern als geplant.
Szenenwechsel zum Kraftwerk Aue: Aus Pet-Flaschen fallen Wassertropfen auf kleine, dünne Schiefersteine, die ihrerseits mit fünf grossen Bassverstärkern verbunden sind. Dabei entsteht ein unregelmässiger Rhythmus. «Drop Rock Power» heisst die kuriose Installation vom Badener Simon Berz, der damit die Kraft des Wassers in der Kraftwerkshalle erlebbar machen will.
Wenig später geht es weiter im Gewölbekeller des ThiK: Das Trip-Hop-Trio «Kush K» um die aus der Region stammenden Catia Lanfranchi spielt sphärische Klänge, bei denen man sich in einen subkulturellen Underground-Schuppen versetzt vorkommt. Gerade mal drei Monate alt ist das erste Album der Band. Wenn sie mal berühmt ist, wird man sagen können, man habe sie schon vor Jahren an einem leicht verkaterten Sonntag live gesehen. Will man in alle Konzerte hineinschauen, bleibt nicht viel Zeit: Im Gartensaal der anderen Stadtvilla, diesmal derjenigen von Walter Boveri, spielt die Londonerin Lizbet Sempa alias «Mysie» am Flügel, während draussen der stete Schneeregen auf die Parkanlage fällt. Das Publikum ist dabei seelenruhig – nicht aus Müdigkeit, sondern weil es keines der ergreifenden, mit viel Herz gespielten und gesungenen Töne verpassen will.
Fast zeitgleich läuft im grossen Saal des Hotel Limmathof der Auftritt der italienischen Band «Wow». Auch hier sind die Lieder herzerwärmend, handeln von der Liebe, vom Abschied nehmen, von den Emotionen des Lebens. Etwas lockerer wird es beim Auftritt von Andy Jenkins im Innenhof des Atrium-Hotel Blume. Sichtlich erfreut steht er da wie in einer kleinen Arena, in der das Publikum von mehreren Stockwerken aus sein Konzert begleitet.
Der Tag ging weiter mit fünf weiteren Shows. 28 waren es an den ersten drei Tagen, 29 weitere stehen bis Samstag auf dem Programm. Das Fazit: Sich alle Konzerte anzuschauen, ist eine Herausforderung. Am Sonntag dafür aufzustehen aber eindeutig lohnenswert.